Linux-Wegbereiter Stallman über freie Software: "Freie Software ist kein Freibier"
Ohne Richard Stallman gäbe es Linux nicht. Seit 25 Jahren kämpft der US-Aktivist unter anderem gegen Bill Gates und fordert: Nehmt euer Leben selbst in die Hand.
taz: Herr Stallman, glauben Sie an Gott?
Richard Stallman, geboren am 16. März 1953 in Manhattan, arbeitete in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der Abteilung für Künstliche Intelligenz am Massachusetts Institute of Technology in Boston. Über "proprietäre" Software und die Allmachtsansprüche ihrer Entwickler ärgerte er sich dort so oft, dass er den Kampf aufnahm: 1983 schrieb er das GNU-Manifest und verkündete, ein freies Betriebssystem entwickeln zu wollen. Um dieses auf einem Computer zum Laufen zu bringen, war noch der Kernel nötig, den 1991 der finnische Student Linus Thorvald entwickelte.
Seitdem finden das Betriebssystem GNU/Linux und seine Weiterentwicklungen weltweit immer mehr überzeugte Nutzer, unter anderem die Stadtverwaltung München, Teile des Auswärtigen Amtes und die taz. In Spanien (Andalusien und Extremadura) und Indien (Kerala) haben bereits ganze Regionen ihre Schulen auf freie Software umgerüstet.
Richard Stallman: Ich bin praktizierender Atheist.
Und weshalb setzen Sie sich dann einen Heiligenschein aus einer alten Festplatte auf den Kopf und segnen Computer?
Ich mache mich über mich selbst und über Religion lustig. Man beschuldigt mich, ein religiöser Fanatiker zu sein, weil ich in der Öffentlichkeit über Freiheit spreche. Und hier bin ich - Sankt IGNUtius! Das ist doch immer so: Sobald jemand über ethische Werte spricht, sagen die Leute "Das ist Religion" - um die Argumente zu diskreditieren.
Was sind denn Ihre Argumente?
Es geht um Freiheit. Menschen sollten ihr Leben selbst in der Hand haben, und nicht unter der Kontrolle anderer stehen. Denn ersteres bedeutet Freiheit, die Kontrolle über andere zu haben, ist Macht. Unfreie Programme, also proprietäre Software, bleiben im "Besitz" des Entwicklers, auch wenn der Anwender sich das Programm gekauft hat. Das ist ein Instrument zur Machtausübung. Windows XP zum Beispiel kann seine Nutzer ausspionieren und sogar angreifen, und die können nichts dagegen tun. Es ist doch der blanke Wahnsinn, dass ganze Regierungen ihre Angelegenheiten mit solcher Software verwalten.
Die Freiheit, von der Sie sprechen, klingt ziemlich abstrakt.
Im Gegenteil! Die erste Freiheit, die ich benenne ist: die Kontrolle über den eigenen Computer zu haben. Sie ermöglicht Ihnen zu wissen, was Ihr Computer tut und das nach Ihren Bedürfnissen verändern zu dürfen. Dazu muss der Quellcode frei zugänglich sein.
Das klingt aber ziemlich abstrakt für mich. Ich bin ja schon froh, wenn mein Computer tut, was ich will.
Aber genau darum geht es ja: Dass ein Programmierer Ihnen helfen darf, wenn zum Beispiel Ihr Programm fehlerhaft ist und er wüsste, wie man das Problem beheben könnte! Bei proprietärer Software macht er sich damit strafbar. Dies ist die zweite Freiheit: Freunden helfen zu dürfen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Das heißt: Freie Software darf man kopieren und weitergeben. Die dritte Freiheit liegt darin, mit anderen zusammenarbeiten zu dürfen. Das heißt: Man darf auch veränderte Software weitergeben und mit anderen teilen. Das klingt jetzt vielleicht, als wären davon nur Berufshacker betroffen, aber das wirkt sich auf alle Anwender aus. Es geht darum, ob wir in einer Gesellschaft das Miteinander oder das Gegeneinander befördern wollen.
Brauchen wir eine dem Informationszeitalter angemessene Erweiterung der Menschenrechtserklärung?
Darüber nachzudenken ist auf jeden Fall eine gute Sache. Aber jetzt eine vollständige Liste aufzustellen, wäre vorschnell und deshalb dumm. Die Menschenrechte, die in der Vergangenheit erstritten und durchgesetzt wurden, beziehen sich auf Lebensaktivitäten, die man zum damaligen Zeitpunkt schon kannte. Man diskutierte über Pressefreiheit, eben weil es eine Presse gab - und Zensur. Also stritt man über Rechte in einer Angelegenheit, die man verstand. Nur die Erfahrung kann uns da Antworten geben. Solange wir die nicht haben, beschränke ich mich auf jene drei Freiheiten, die ich für den Gebrauch von Software identifiziert habe.
Ist denn eine "freie Software" überhaupt möglich in einer Gesellschaft, die dem freien Markt huldigt?
Wenn ich "frei" sage, dann meine ich das im Sinne von "freie Rede" und nicht "Freibier". Selbstverständlich kann man auch mit freier Software Geld verdienen, zum Beispiel über den Support. Die Behauptung, es gäbe einen freien Markt für proprietäre Software, ist lächerlich. De facto haben wir da ein Monopol, das geschützt wird durch so perverse Begriffe wie "geistiges Eigentum".
Wie bitte?
Das ist doch pure Propaganda. Die sagen "geistiges Eigentum" und beziehen sich dabei auf Patent- und Kopierschutzrechte. Und da wird es dann völlig absurd. Das Patentrecht zum Beispiel ist ja nicht von Himmel gefallen. Es wurde eingeführt, weil man der Gesellschaft zuliebe Anreize für Forscher und Entwickler geben wollte, um so den technischen Fortschritt zu befördern. Und heute stellen sich Regierungen an der Seite einiger Großkonzerne gegen ihre eigenen Bürger...
..und Angela Merkel empfängt Bill Gates wie hohen Staatsbesuch.
Da muss man sich doch fragen: In wessen Interesse arbeiten die? Menschen kommen ins Gefängnis, nur weil sie ein paar Kopien mit ihren Freunden teilen.
In Deutschland gab es diesen Kino-Spot zu digitalen Raubkopien. Da fragt ein kleines Mädchen in die Kamera: "Mama, warum sitzt Papa im Gefängnis?"
Das ist doch Wahnsinn. Die Tatsache, dass Sie eine Kopie von etwas weitergeben, das Sie gekauft haben, macht sie zum "Piraten", zu einem Illegalen. Viele Menschen denken: "Hier geht es nur um Computer, das geht mich nichts an." Aber es geht darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
Sie sprechen viel über Freiheit und Solidarität. Sind Sie der Aufklärer im finsteren Mittelalter der Software-Leibeigenschaft?
Ich bin politischer Aktivist. Ich spreche so viel über Werte, weil ich die Leute ermutigen will, sich zu positionieren, nicht weil sie besser gebildet sein sollen. Ich versuche sie dahin zu kriegen, dass sie aus der sozialen Trägheit ausbrechen und für ihre Freiheit kämpfen.
"Soziale Trägheit"? Was soll das denn heißen?
So nenne ich das Phänomen, dass alle sagen: "Ich würde ja gerne wechseln und freie Software benutzen, aber ich warte lieber, bis alle anderen gewechselt haben. Wenn ich das zuerst mache, bin ich ja der Dumme." Es wird sich nie etwas ändern, wenn alle auf die anderen warten. Wir brauchen Leute, die sich für die Freiheit entscheiden, die ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen und sagen: "Ich warte nicht länger, ich gehe voran und befreie mich selbst!"
Eigentlich die gleiche Dynamik wie beim Klimawandel auch, oder? Alle wissen, was zu tun wäre, und jeder wartet, dass die anderen damit anfangen.
Ja, vielleicht kann man da Parallelen sehen. Aber das ist eine andere Art von Trägheit, glaube ich. Es braucht Zeit, eine große Sache in Gang zu bringen. Das ist die Trägheit unserer Zivilisation.
Die Trägheit Ihrer eigenen Community scheint Sie jedenfalls sehr zu stören. Sie sind rund vier Monate im Jahr in der ganzen Welt unterwegs, um Menschen den Unterschied zwischen "Freier Software" und "Open Source" klarzumachen. Was ist das Problem?
Das Problem ist, dass ganz viele Leute zwar freie Software benutzen, sich aber null für ihre Freiheit interessieren. Es wird ja immer nur von "Open Source" gesprochen, die Leute denken, das sei das gleiche wie freie Software. Ist es aber nicht. "Open Source" ist eine Entwicklungsmethode, die auf einem frei zugänglichen Quellcode beruht. Freie Software hingegen ist eine politische Philosophie, in der die Freiheit an erster Stelle steht.
Warum reiten Sie auf diesem Unterschied so herum? In der Praxis zählt doch, ob Leute freie Software benutzen und verbreiten, oder?
Nein. Wenn Leuten ihre Freiheit egal ist, dann werden sie sie ganz leicht wieder verlieren. Die Open-Source-Leute sagen: Wenn Nutzer ein Programm teilen und es auch verändern dürfen, dann verbessert sich im Endeffekt das Programm, es wird stabiler und verlässlicher. Das sind die Werte, die für die Open-Source-Bewegung zählen - ganz pragmatische. Das überzeugt auch einige Entwickler, und das ist gut so. Aber es bleibt ein großes Problem: Diese Leute sind mit pragmatischen Argumenten überzeugt worden. Was passiert denn, wenn der Entwickler feststellt, dass zwar viele Leute sein Programm teilen und verändern, aber es wird dadurch gar nicht wirklich besser? Wenn Leute mit den Open-Source-Argumenten überzeugt werden, ist ihnen die Freiheit egal, und dann kann es damit auch ganz schnell wieder vorbei sein. Wirklich dauerhaft freie Software kann es nur geben, wenn Freiheit und Zusammenarbeit Werte an sich sind.
Das klingt ja nun doch sehr nach Aufklärung. Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass Menschen einander helfen und zusammenarbeiten wollen?
Wir sollten uns nicht für dumm verkaufen lassen von Leuten, die Dinge sagen wie: "Der Mensch strebt nach Profit." Die werden von der Wirtschaft dafür bezahlt, dass sie das sagen. Meine Meinung ist: Der Geist des Wohlwollens ist die wichtigste Ressource unserer Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass fast alle Menschen den Wunsch verspüren können, anderen Menschen zu helfen. Deshalb muss es eine der ersten Aufgaben des Staates sein, soziale Solidarität zu fördern.
Wie sollte er das tun?
Wir können kooperatives Verhalten fördern oder unattraktiv machen, je nachdem, wie wir Gesellschaft organisieren. Deshalb ist es so wichtig, was an Schulen passiert. Wer Schüler an proprietärer Software wie Windows ausbildet, der bringt ihnen Abhängigkeit bei. Schulen sollten ausschließlich freie Software verwenden und daran Gesellschaftsfähigkeit vermitteln.
INTERVIEW: DUNJA BATARILO
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe