Linksradikale protestieren: "Alberne Wende-Party"
Linksradikale Gruppen rufen zur Demo gegen das offizielle Mauerfall-Jubiläumsfest in der Hauptstadt auf. Dies sei eine "alberne Wende-Party" und "nationale Befriedungssause".
BERLIN taz Anlässlich von 20 Jahren Mauerfall wird an diesem Wochenende in der Hauptstadt nicht nur gejubelt. Antifas und andere linksradikale Gruppen haben angekündigt, dass sie zeitgleich mit den offiziellen Feierlichkeiten am Brandenburger Tor ein paar hundert Meter weiter eine "antinationale Aktion" organisieren wollen. Der Zusammenbruch des Ostblocks war kein "Ende der Geschichte", heißt es in dem Aufruf, "sondern ein Aufbruch in den globalen Krisenkapitalismus". Die Demo soll am Samstag um 17 Uhr am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie beginnen.
Das von offizieller Seite initiierte "Fest der Freiheit" am Brandenburger Tor an diesem Wochenende bildet den Höhepunkt des diesjährigen Jubiläumsjahres, in dem Deutschland 60 Jahre BRD, das Grundgesetz und eben 20 Jahre Mauerfall feiert. Neben den damaligen Staatschefs der Siegermächte wird Kanzlerin Angela Merkel unter anderem auch den russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew und US-Außenministerin Hillary Clinton empfangen. Nahezu alle EU-Staatschefs hätten sich angekündigt, verkündete Berlins Senatssprecher Richard Meng stolz.
Und auch die bis zu einer halben Million Zuschauer, die erwartet werden, sollen etwas geboten bekommen. Rund 1.000 bemalte Dominosteine sollen am Samstag entlang dem ehemaligen Mauerstreifen aufgestellt werden und am Abend des 9. November symbolisch wieder zu Fall gebracht werden.
Als "alberne Wende-Party" und "nationale Befriedungssause" bezeichnet es das Vorbereitungsbündnis der antinationalen Demonstration. Die AktivistInnen kritisieren, dass sich Deutschland erneut "als freiheitsliebender Friedensstifter geriert". Dabei habe der "siegreiche Kapitalismus weltweit neue Ohnmacht und Verzweiflung produziert". Marlies Sommer von der linksradikalen Berliner Gruppe TOP warnt vor zu viel Freudentaumel bei den Einheitsfeierlichkeiten. Der zivile Alltagsnationalismus könne auch heute noch jederzeit in handfesten Rassismus umschlagen.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, die nicht Teil des Demobündnisses ist, sondern bundesweit eigene Aktionswochen gegen Antisemitismus initiiert hat, weist darauf hin, dass 20 Jahre nach dem Mauerfall "der nicht aufgearbeitete Antisemitismus in Ostdeutschland" auf einen "neuen, gesamtdeutschen und globalisierten Antisemitismus" getroffen habe.
Was die Initiatoren der antinationalen Demo auch nicht verschweigen: So ganz ohne Jubel kommen auch sie an diesem Wochenende nicht aus. Denn ein Stück weit feiern sie auch. Und zwar sich selbst. Aus der Ablehnung der Wiedervereinigung und dem daraus wachsendem Nationalismus entstand in der radikalen Linken vor 20 Jahren eine neue Strömung, die sich selbst antinational nannte. Bis heute ist die Antifa-Szene von dieser Debatte geprägt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren