Na gut, dann wollnwer mal lobend erwähnen, dass sich überhaupt ein Redakteur der Taz dazu herablässt, auf Leserkommentare einzugehen (das 'herablässt' bezieht sich damit auch nicht mehr auf M. Urbach, sondern den Rest der Redaktion). Normalerweise sind die Redaktionskommentare nur vom Typ 'Beleidigte Leberwurst': Ham Sie Leser eigentlich Abitur? Äh na ja, das nicht, aber: der Redakteur wies nur auf sein erfolgreich abgeschlossenes BWL-Studium (und Soziologie!) hin, was meine Kritik an seiner Schreibe über die Causa Ostermann/Ulrich aber nicht wirklich entkräftete.
Also lasset uns darüber dankbar sein, und hoffen, dass es einen Lernprozess auslöst.
Dass die Kommentare zum Teil heftig ausfallen, hat etwas mit der langen Vor- und Leidensgeschichte der Taz, des Taz-Journalismus und ihrer Leser zu tun. Dass die Taz-Redakteure sich aber einbilden, die Taz sei mit ihren Lesern im Reinen, ist geradezu gefährlich. Denn Urbach entgeht, dass es sich bei der Kritik u.a. auch an diesem Artikel nicht um die beleidigten Leser handelt, die sich über eine gelegentliche Anzeige aus dem Reich des Bösen echauffieren, also von E-ON, BP oder sonst irgend einer Firma, die damit über die Taz-Leserschaft keinen Cent Umsatzsteigerung erzeugt. Es geht um Leser, die die Kernschmelze der journalistischen Tugenden bei der Taz kritisieren.
Es geht um journalistische Qualität. Ich behaupte dreist, dass guter Journalismus sich automatisch in die politisch richtige Richtung bewegt. Die Tatsache, dass die Vor-Kommentatoren fast alle die Partei Die Linke in Schutz nehmen (was auch ich tue) ist nur ein Symptom, nicht das eigentliche Problem.
Wäre die Taz heute mehr als ein Schatten ihrer Gründerzeit, dann gäbe es auch Kritik an der Linken, der Partei Die Linke, die die Bezeichnung Kritik verdient. Dann würde nämlich nicht die Lockenwicklerzeitungs-kompatible Personalisierung und Dämonisierung des Führungspersonals jegliche ernstzunehmende (und öfers auch notwendige) Kritik ersticken.
Es wäre mir ein Gräuel, wenn die Taz auf die gleiche Art und Weise pro 'Linke' schreiben würde, wie sie inzwischen von der Mehrheit der Autoren panisch bis paranoisch bekämpft wird, solche Befürworter würde ich und müsste die Linke fürchten.
Es geht um die Techniken der Meinungsmanipulation, als deren wichtigste da wären:
Die UNTERSCHLAGUNG von Informationen. Ein Dauerbrenner in allen Gazetten. Siehe Antwort von Bodo Ramelow auf den 'Leichenfledder'-Vorwurf, der es bis in die Nachdenkseiten geschafft hat, ein Ort, der normalerweise nicht sehr empfänglich ist für gleichgeschalteten Medien-Schmodder. Wenn nur alle unisono und lange genug auf der Falschdarstellung bestehen, dann ist eine Richtigstellung nahezu unmöglich.
Das ZITATENPOTPOURRI. Ein wirksamer suggestiver Mix, mit dem man jede Meinung ausdrücken und transportieren kann, ohne dass man als Autor/Zeitung aus der Deckung gehen muss. Bewahrheiten sich die Gerüchte, kann man nachtreten, ists wie meistens nur Dummbrumm, wird dezent geschwiegen und zur Tagesordnung übergegangen, dann waren es halt die anderen, auf die man wie die Taz dann mit dem Finger zeigen kann: Haltet den Dieb! Rief der Dieb. Verantwortlichkeit? Ehrlichkeit? Fehlanzeige. Das zur Übernahme der gequirlten Scheiße aus Spiegel Online durch die Taz. Irgendwann sollte man sich halt mal entscheiden, ob man in der Gerüchteküche mitkochen will, oder ob man dem Leser diesen unappetitlichen Fraß lieber erspart.
In der zweiten Runde des Hessen-Wahlkampfes geisterte das Zitat 'der Staatsmann aus Eschborn' und 'der gute Handwerker' als Bezeichnungen für Roland Koch durch die Taz. Nicht etwa als als solche gekennzeichnete Beispiele für die Arbeit der PR-Maschinerie der CDU. Nein, einfach so, tüdelditü, ganz ohne 'besondere' Absicht.
Die ASSOZIATIONSFALLE. Der Vollständigkeit halber hier aufgeführt, obwohl mir Urbach nicht als der Ober-Fallensteller bekannt ist. Aber was sagt uns eine Überschrift (eine 'Analyse' anlässlich der Saar-Wahl, die für die NPD bekanntermaßen mit einem Desaster endete) wie 'Linke und NPD fischen im selben Teich'? Na? Im trüben fischen, natürlich! Festgenagelt um einen kleinen Teich hocken. Und daraus ergibt sich auch zwangsläufig, dass die anderen, bürgerlichen Parteien, sich nicht um diese thumben schmuddeligen Harz-IV-Gestalten kümmern müssen, sondern am rauschenden Wildbach putzmuntere und saubere Wähler-Forellen fangen dürfen und können. Selten soviel Ressentiment in so wenigen Worten konzentriert gefunden, in der Taz. Auch die Überschrift 'O. und S., da geht noch was' entbehrt nicht eines Schlags unter die Gürtellinie: Sex und Alter geht im juvenilen Köpfchen der Artikelschreiberin wohl nicht zusammen, außer herablassend.
Die BEGRIFFSOKKUPATION. Seit die Partei Die Linke nicht nur im fernen, wilden, finsteren, unbegreiflichen Osten Wähler gewinnt, sondern auch im Westen präsent ist, sind sich plötzlich (fast) alle männlichen Inlands-Redakteure der Taz (und, gottseidank nur ein paar wenige, dämliche Groupies auch) einig, dass linke SPD und die Partei Die Linke und deren Wählerschaft aber so was von konservativ sind! Da wird wild in der Historie herumargumentiert (mit Bismark als dem 'Begründer' der Sozialstaatsidee und anderen Geschichtsklitterungen) um die Idee des Sozialstaats negativ zu besetzen und uns Lesern die Idee des Wirtschafts- und Sozialdarwinismus wie einst die schröderschen 'Reformen' als Ausbund des Fortschritts nahezubringen. Oder noch perfider: Abwehrkämpfe = Zustandsbewahrung = Konservativ, ist doch klar, dass man sich nicht einfach der Schwarz-Gelben Abbruchkolonne entgegenstellen darf, pfui, das ist doch 'konservativ'!. Seit dem semantischen GAU des Begriffs 'Reform' wird das nicht mehr so einfach funktionieren, nicht mal bei Bild-Lesern. Weshalb behelligt man uns Taz-Leser damit?
Die WIEDERHOLUNG, DAS MANTRA, DIE TIBETANISCHE GEBETSMÜHLE. Die penetrante, weder durch Logik noch durch Erfahrung beirrbare WIEDERHOLUNG. Wir durften uns schon sechs mal (meine private Zählung, kein Anspruch auf Vollständigkeit) von einem Bildungsredakteur der Taz davon überzeugen lassen, dass die Studiengebühren der konservativen Sparweltmeister-Landesregierungen eine für die Bildung segensreiche und sozial gerechte Sache sind. Mindestens genauso oft wurde diese bizarre Ansicht argumentativ zerlegt, von einer Taz-Kollegin im redaktionellen Teil genauso wie von zahlreichen Leserbriefschreibern und Online-Kommentatoren (Logik), und einmal durch eine großangelegte Untersuchung (Empirie). Konservativismus und reaktionäre Denke sind immer mit Denkfaulheit und Argument-Resistenz gepaart. Journalismus, der auf Einwände der gegnerischen Position eingeht, und diese entkräftet, ist intelligent, bringt die Leser und die Gesellschaft weiter, und ist lesenswert. Selbst wenn der Autor von seiner Position nicht gleich abrückt. Steile These, aber ich bin davon überzeugt.
Dann noch ein Wort zur Verschwörungstheorie. Urbach vermutet, wir Leser-Kommentatoren hätten eine Verschwörungstheorie. Die meisten der Kommentatoren sind viel zu intelligent, an eine Verschwörungstheorie zu glauben.
Wir sind da viel eher von den Kräften des Marktes überzeugt, die die Journalisten der Taz fest im Griff haben. Taz-Journalisten müssen im Vergleich zu ihren festangestellten Kollegen von Welt, Spiegel, Focus, FAZ oder der fünf bürgerlichen Partei-Stiftungen doch ein kärgliches Dasein fristen. Und dass der Wunsch, dieser Galeere zu entkommen, früher oder später, je nach Charakterstärke, die Tugenden des kritischen, sorgfältigen, aufklärerischen Journalismus hintanstellt, zugunsten einer Flexibilität, die sich auf neue politische Gegebenheiten und Gelegenheiten auf erlösende und auskömmlichere Pöstchen einstellt. Und schon schreiben wir mal für eine Bananenrepublik, in der sich die politischen Lager angeblich auflösen. Armes Jamaika.
Für diese Leute bedauere ich auch zutiefst den wirtschaftlichen Niedergang der oben genannten Printmedien. Denn die werden die Möchtegern-Regierungssprecher, flankierenden Wahlpropagandaschreiber (alles, nur nicht die Linke), Assozationsfallensteller, Gerüchteköche und -Abtipper der Taz leider nicht in ihre Redaktionen abberufen.
Denn diese Presseerzeugnisse haben genügend bedingungslos devote Schreibknechte, die von der Taz haben denen gerade noch gefehlt.
Uns Lesern können sie aber auch gestohlen bleiben.
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