Linkspartei-Kommentar: Nichts begriffen
In Hessen wählte die Linke-Basis einen Kandidaten, der der Parteispitze in Berlin nicht passt. Die versucht den Unfall rückgängig zu machen - und gefährdet so die innerparteiliche Demokratie
Stefan Reinecke (48) ist Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.
Eigentlich bedarf es nicht viel, damit die Linkspartei Erfolg hat. Sie muss lediglich auch im Westen eine demokratische, plurale Partei werden. Und sie muss fähig sein, Realpolitik zu machen. Was geschieht, wenn diese beiden Ziele in Widerspruch geraten, kann man derzeit in Hessen beobachten.
Hessen ist das Traumland der Linkspartei. Denn möglich ist, dass Roland Koch bei der Wahl 2008 auch mit der FDP keine Mehrheit bekommt, die FDP aber nicht Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün sein will. Dann braucht Rot-Grün die Linkspartei, die sich damit auch im Westen unentbehrlich machen würde. Ein Triumph, gerade für Lafontaine, der zwar eine Fundi-Rhetorik bedient, aber im Zweifel auch weiß, dass Opposition Mist ist.
Deshalb setzte die Linkspartei-Spitze auf einen Spitzenkandidaten, der auch für SPDler wählbar ist, den hessischen Ex-DGB-Chef Dieter Hooge. Doch die Basis in Hessen kürte trotzig den Ex-DKP-Mann und Fundi Pit Metz zum Spitzenkandidaten, der auf jeden Fall in der Opposition bleiben will. Damit sinken die Aussichten der Partei dramatisch.
Der Eigensinn der Parteibasis in Hessen speist sich aus vielen Quellen, auch trüben. Die Linksruck-Fundis sind dort ziemlich stark, der Partei haftet Sektenhaftes an. Doch in dem Nein zu Hooge steckt auch eine rationale Botschaft: Widerspruch gegen den kalten Machiavellismus und den Kommandoton im Liebknecht-Haus. Denn anstatt Hooge der Parteibasis freundlich als Angebot zu präsentieren, erfuhr diese aus den Medien, wer ihr Spitzenkandidat wird. Und dass mögliche Gegenkandidaten am besten gleich zu Hause bleiben.
Schon in Bremen hatte die Basis den Wunschkandidaten der Parteispitze ignoriert. Der Fall Hessen zeigt, dass die Parteispitze erstaunlich lernunfähig ist und die Dynamik des Selbstfindungsprozesses der neuen Partei nicht versteht. Lafontaine & Co. arbeiten nun daran, den Unfall rückgängig zu machen - Metz soll freiwillig verzichten. Auch wenn dies gelingt und noch ein passabler Kandidat gefunden wird, bleibt der Schaden: der Ruf, dass die Partei so lange wählt, bis der richtige Kandidat gewonnen hat. Den Genossen im Osten müssten dabei die Ohren klingen.
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