Linkskultur: Wider die Geldschneider
Gleich drei alternative Projekte in Mitte und Pankow stehen vor dem Aus – am Samstag gehen sie gemeinsam auf die Straße. Haben sie eine Chance? Die taz macht den Widerstands-Check!
Die Alternativkultur in Prenzlauer Berg und Mitte bläst zum Gegenangriff. Gleich drei traditionslinke Projekte stehen dort vor dem Aus – an diesem Samstag gehen sie gemeinsam auf die Straße. „Wir zahlen nicht für eure Spekulationen!“, wollen sich „KvU“, „Linie206“ und Baiz auf die Transparente pinseln –und auch gegen steigende Mieten überhaupt protestieren.
Hausprojekt seit 1990: Linienstraße 206
Wie eine schmuddelgraue, angeschossene Festung steht das Eckhaus in der Linienstraße, umgeben von saniertem Weiß. Es scheint, als hielten nur die Graffitis den bröselnde Putz zusammen. „Soldaten sind Mörder“ steht dort, ein Klassiker. Ganz wie das Hausprojekt, das – 1990 besetzt und ein Jahr später mit Mietverträgen bestückt – heute das letzte seiner Art in der Ecke am Rosenthaler Platz ist. Drinnen stehen weiter alle Türen offen, kochen und plenieren die 15 Bewohner gemeinsam in der Großküche. „Wenn wir gehen“, sagt Bewohner Stefan, seit zwölf Jahren im Haus, „geht hier ein Teil alternativer Geschichte.“
Samstag, 17 Uhr, Demo von der Linienstraße 206 zur Kirche von Unten - zu Fuß oder mit dem Fahrrad.
Investorentraum: Unbekannt. Die Eigentümer, seit zwei Jahren im Besitz der „Linie 206“, schweigen zu ihren Plänen, schickten aber bereits Abmahnungen an alle Bewohner, wegen „eigenmächtiger Umbauten“. „Die wollen uns raus haben und Profite machen“, glaubt Stefan.
Widerstandsfaktor: Hoch. Noch setzen die Bewohner auf Verhandlung, haben ein Kaufangebot von 500.000 Euro unterbreitet. Die Eigentümer aber regen sich nicht. Für die „Linie“ gilt es eine Ära zu verteidigen.
Rettungschance: Passabel. Bisher gab es nur eine Räumungsklage gegen eine Bewohnerin. Deren einst mündlich vereinbarter Mietvertrag sollte nun ungültig sein. Stimmt nicht, entschied das Amtsgericht Mitte im März. 1:0 für die „Linie“.
Gegen DDR-Bespaßung: Kirche von Unten
Punk’s not dead! In dem schummrigen Jugendclub trägt man noch Sicherheitsnadeln im Ohr, schrammeln im Keller Punkbands. Oben steht neben dem Flipper ein Bücherregal, am Tresen bedient man sich selbst. In der dienstäglichen Vollversammlung entscheidet die Jugend im Konsens über Getränkekarte wie Demo-Aufrufe. Das hat Tradition: Schon seit 1987 macht die „KvU“ offene Jugendarbeit, seit 1992 in der Kremmener Straße. Einst als Gegenraum zur offiziellen DDR-Bespaßung. Heute immer noch irgendwie dagegen.
Investorentraum: „Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen“, haben die Besitzer, die Immowert GmbH aus Österreich, angekündigt. Folgen sollen Eigentumswohnungen, im „KvU“-Keller eine Tiefgarage – und für die Immowert ein erweitertes „Deutschland-Portfolio“.
Widerstandsfaktor: Anarchie! Vorm Bezirksparlament bauten Jungpunks ein Schlagzeug auf, mit Bussen reisten sie bis nach Wien zum Eigentümer. „Jetzt hilft nur noch politischer Druck“, sagt Mitarbeiter David.
Rettungschance: Mies. Schon seit Jahresbeginn hat die „KvU“ keinen Mietvertrag mehr, seitdem läuft eine Räumungsklage. Ausweichobjekte bisher: keine. „Wir gehören hier seit Jahrzehnten zum Kiez“, so David, „ohne Alternative in der Nähe geht hier keiner freiwillig.“
Trinkfeste Anarchos der Torstraße: Baiz
Die Markise grüßt: „Kein Bex, kein Latte, kein Bullshit“. Drinnen herrscht rot-schwarze Seligkeit: Tresen, Kicker, Wände – allesamt in den Anarcho-Farben. Folgerichtig ist in dem Lokal, seit zehn Jahren an der Torstraße, die trinkfeste Linke Stammgast, sonstige Nachbarschaft auch. Das große Pils gibt’s für 1,90 Euro, daneben auch Lesungen, russische Stummfilme, Drogen-Quiz und einen Gästerat, der schon mal für säumige Trinker zusammenlegt. „Bier verkaufen alleine wäre zu langweilig“, sagt Baiz-Wirt Matthias Bogisch: Altlinker, mit Zopf und Lederjacke.
Investorentraum: Seit Herbst 2012 besitzt die Zelos GmbH das Baiz-Haus – und will sanieren, „behutsam“. In den Modernisierungsankündigungen heißt das: Mietsteigerungen bis zu 370 Prozent. Gastronomie, ließen die Eigentümer wissen, passe leider nicht mehr ins Konzept.
Widerstandsfaktor: Unberechenbar. Stammgästen den Zapfhahn abzudrehen, verheißt Ungemütliches. Seit März tüftelt eine 100-köpfige Gästegruppe an einem Baiz-Rettungsplan. Auch Bezirksfraktionen sind an Bord, tagten schon im Lokal.
Rettungschance: Ungewiss. Ende Oktober läuft der Mietvertrag aus. Gerade wird noch über eine viermonatige Verlängerung verhandelt. Im Baiz will man mehr: „Wenn wir es mit all der Unterstützung nicht schaffen hier zubleiben“, sagt Stammgast Trelle, „dann schafft es der kleine Mieter nebenan erst recht nicht“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste