Linke und Bagatelle-Kündigungen: Keine Urteile mit "kaltem Herzen"
Der Links-Abgeordnete und ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic will Kündigungen wegen kleiner Diebstähle erschweren. Beim ersten Mal soll eine Abmahnung genügen.
FREIBURG taz | Eine fristlose Kündigung wegen ein paar Maultaschen soll es bald nicht mehr geben. Die Linke will Bagatellkündigungen von Arbeitnehmern erschweren und Verdachtskündigungen ganz verbieten. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Abgeordneten Wolfgang Neskovic vor, der am Mittwoch im Bundestag erstmals beraten wird und der taz vorab vorliegt.
Anlässe gab es in den letzten Monaten genug. In Berlin wurde eine Kassiererin - bekannt als "Emmely" - fristlos gekündigt, weil sie gefundene Pfandbons im Wert von 1,30 Euro für sich verwendet haben soll. Am Bodensse verlor eine Altenpflegerin die Arbeit, weil sie sechs übrig gebliebene Maultaschen mitgenommen hat. Und in Dortmund erhielt eine Sekretärin den Laufpass, weil sie eine Frikadelle von einem Buffet genommen hat.
In allen Fällen beriefen sich Arbeitgeber und Arbeitsgerichte auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 1984. Danach berechtigt auch der Diebstahl geringwertiger Sachen zur fristlosen Kündigung - weil in solchen Fällen das Vertrauensverhältnis zerstört sei. Formal wurde zwar berücksichtigt, dass die Beschäftigten schon Jahre, teilweise Jahrzehnte ohne Beanstandung für das jeweilige Unternehmen gearbeitet hatten, unter dem Strich wog der Vertrauensverlust aber stets schwerer. Ingrid Schmidt, die Präsidentin des Bundesarbeitsgericht, hat solche Urteile Anfang des Jahres in einem Interview verteidigt. "Es gibt keine Bagatellen" und warf Beschäftigten, die ungefragt Maultaschen mitnehmen, "fehlenden Anstand" vor.
Wolfgang Neskovic, der rechtspolitische Sprecher der Linken, hält die ganze Linie für falsch: "Das ist eine Rechtsprechung des kalten Herzens", sagte er zur taz, die Gesetze würden "ohne Augenmaß" angewandt. Und er hat keine Hoffnung mehr, dass sich das Bundesarbeitsgericht selbst korrigiert. Der BAG-Präsidentin wirft er sogar "trotzige Uneinsichtigkeit" vor. Deshalb müsse jetzt der Gesetzgeber die Arbeitsgerichte "an die Kandarre" nehmen.
Neskovics Gesetzentwurf sieht vor, dass wegen Diebstahl, Unterschlagung oder Zerstörung "geringwertiger Gegenstände" erst im Wiederholungsfall gekündigt werden kann. Wird der Beschäftigte zum ersten Mal erwischt, soll eine Abmahnung genügen. "Das Recht muss wieder die besondere Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers beachten", betont Neskovic, der zuvor Richter am Bundesgerichtshof war, "Hier droht immerhin der Verlust der sozialen Existenzgrundlage, vielleicht sogar auf Dauer." Wo die Grenze der Geringwertigkeit liegt, lässt der Gesetzentwurf offen.
Außerdem will Neskovic die bisher zulässigen Verdachtskündigungen verbieten. Bisher genügt es für einen Rausschmiss, dass der Arbeitgeber einen Tatverdacht hegt, wenn er ihn auf "nachweisbare Tatsachen" stützt. Neskovic will dagegen, dass der Arbeitgeber die Straftat beweisen muss und das Arbeitsgericht im Streitfall davon überzeugt. "Ein bloßer Verdacht kann für eine so schwerwiegende Folge wie den Arbeitsplatzverlust nicht genügen", so Neskovic.
Die SPD hat einen ähnlichen Gesetzentwurf angekündigt. Er soll am Mittwoch gemeinsam mit dem Antrag der Linken beraten werden. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP sind voraussichtlich gegen den Vorstoß.
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