heute in bremen : „Linke distanzierten sich“
Im Haus der Wissenschaft wird die Geschichte der Kirchturmpolitik erklärt
taz: Frau Borger-Keweloh, wozu diente ein Kirchturm?
Nicola Borger-Keweloh, Kunsthistorikerin: Zunächst waren sie natürlich ein Machtsymbol. Die Kirche war aber nicht nur für den Gottesdienst ein zentraler Ort. Da mischten sich munter weltliche und geistliche Funktionen. In den Türmen der Kirche von Altenbruch wurden sogar die Freiheitsakten des Landes Hadeln verwahrt.
Wieso eigneten sich Kirchtürme zum Nationaldenkmal?
Weil Napoleon strikt gegen die Kirche war, haben die Deutschen sie nach der französischen Besatzungszeit umso mehr hervorgehoben. Es fand sozusagen eine nicht-konfessionelle Re-Christianisierung statt, aus purer Opposition zu Napoleon. So haben witzigerweise die Patrioten, die doch einen freiheitlich-demokratischen Staat forderten, die Kirchen von der Religion gelöst und zu Nationalsymbolen erhoben.
Aber Kirchen gab es doch auch in anderen Ländern?
Der gotische Baustil wurde zur deutschen Kunstform erklärt. Auslöser war Goethe, der, begeistert vom Straßburger Münster, eine Lobrede auf diese „deutsche Baukunst“ verfasste. Als man erkannte, dass der Kölner Dom ein stilistischer Nachfolger der Kathedrale von Amiens war, entbrannte ein politischer Streit, bei dem die Deutschen die Gotik für sich beanspruchten.
Gab es auch Kritik am politischen Kirchen-Kult?
Anfangs war die Begeisterung groß. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden überall Dombau-Vereine, die sich dann aber bald schon zerstritten. Linke wie Heinrich Heine distanzierten sich von der Kirche, die Konfessionen gerieten in Zwist und der vermeintlich progressive König Friedrich Wilhelm IV drängte sich immer mehr in den Mittelpunkt. Das Projekt, ein Nationaldenkmal für alle zu schaffen, scheiterte.
Interview: Annabel Trautwein
Samstag, 11.00 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße