piwik no script img

„Linie 1“ im Hinterhof

■ Im Thomas-Weißbecker-Haus eröffnete gestern das Cafe „Linie1“ / Jugendselbsthilfeprojekt ist gefährdet / Senat hat die Gelder gestoppt

„Das einzige, was uns noch fehlt, ist eine Spülmaschine. Für die war kein Geld mehr da.“ Widerwillig taucht Charles den nächsten Frühstücksteller in die Spülmitteltunke. Der Vorrat an reinigungsbedürftigen Tellern wird nicht weniger. Das neueröffnete Cafe „Linie 1“ des Selbsthilfeprojekts in der Kreuzberger Wilhelmstraße 61 ist an diesem Sonntag rappelvoll. Kostenloses Frühstücksbüffet und der sonnige Sitz im Hinterhof haben die meisten Kiezbewohner weitaus früher aus dem Schönheitsschlaf gerissen als sonst üblich.

Und so sitzen verwuschelte Punks über Kaffee und Käsestulle, Kinder und Hunde toben zwischen Stühlen und flitzen über das blanke Parkett. Eine Idylle, die eigentlich gar nicht sein dürfte. „Für das Cafe mußten wir schon einen Kredit aufnehmen, sonst hätten wir das gar nicht realisieren können“, meint Charles, der im Thomas-Weißbecker-Haus im Vorstand arbeitet. Gelder - bislang durch den Jugendsenat in das Projekt geflossen - sind seit März verebbt. „Der Senat akzeptiert uns nicht mehr als Verhandlungspartner und will einen Zwischenträger“, erklärt der Sozialarbeiter empört. Ohne die 200.000 Mark Senatsunterstützung sei das Jugendwohnprojekt, in dem zur Zeit 41 Jugendliche leben, gefährdet.

„Die Leute, die hier ihre Miete privat aufbringen, haben jetzt Angst, daß die 'ne ganze Ecke teurer wird“, beschreibt Moritz die Reaktion der Bewohner auf das Ausbleiben der Senatsknete. Denn die nicht mehr senatsgestützten Betriebskosten und Personalmittel könnten dann auf die Miete umgelegt werden. Moritz wohnt seit einem halben Jahr im Haus und will auf jeden Fall vorerst dort bleiben. Die Idee, unten im Haus ein Cafe einzurichten, findet sie prima. „Klar, die Preise sind hier genauso wie in jedem anderen normalen Cafe auch, aber das könnte für uns schon so was wie 'ne Stammkneipe werden.“ Sie fände es aber besser, wenn es nur für die Hausbewohner noch einmal ein eigenes Cafe gäbe. „So zum Frühstücken und Quatschen.“

Bleibt die Finanzierung des TWH jedoch weiterhin ungesichert, können Ideen und neue Projekte der jugendlichen Hausbewohner wohl vorerst nicht realisiert werden. „Seit 17 Jahren gibt's jetzt das Thomas-Weißbecker-Haus, Ärger mit dem Senat haben wir aber erst seit 2 Jahren“, meint Charles. Seine Vermutung: „Wer das Geld gibt, will auch die Musik bestimmen.“

Das war der Behörde in der Vergangenheit nicht so leicht möglich. Seitdem das TWH 1972 als zweites Haus in der Stadt besetzt worden war, arbeitete der Träger, der SSB e.V., als reines Selbsthilfeprojekt. Zwischen 1982 und '87 setzten die jugendlichen BewohnerInnen unter Anleitung das Haus nach ihren Vorstellungen instand. Hausplenum und Etagenrat entschieden seither unabhängig von den Behörden über die Zusammensetzung der Gruppe Jugendlicher im Haus. Auch die Regeln für das Zusammenleben wurden hausintern beschlossen.

Anfang des letzten Jahres setzten sich hauptamtliche Betreuer und Jugendliche mit der Jugendverwaltung zusammen, um über Jugendhilfe-Rahmenbedingungen zu verhandeln, mit denen die Senatsverwaltung eine ordnungsgemäße Geschäftsordnung (Abrechnung, Heimaufsicht) garantiert sehen wollte. Mit der Einrichtung einer Metallwerkstatt wollten die zumeist arbeitslosen Hausbewohner selbst etwas gegen den täglichen Leerlauf tun, sie scheiterte am fehlenden Behördengeld und -willen. Aus Protest kippten Verein und Bewohner daraufhin die Verhandlungen und zogen sich auf ihre Basisstrukturen zurück, die Jugendverwaltung stornierte die Förderungsmittel. Hier kritisiert man nicht nur den Träger als nicht „akzeptablen Verhandlungspartner“, sondern auch die Einrichtung des Cafes wegen Drogenproblemen der Hausbewohner. „Die Binnenstruktur des Hauses“, heißt es in der Jugendverwaltung, wolle man aber auch bei einem neuen Trägerverein „nicht antasten“.

Die Bewohner haben derweil eine einstweilige Anordnung gegen die Behörde beim Verwaltungsgericht beantragt. „Was wir wollen, ist die sofortige Weiterzahlung der Gelder“, erklärt Charles. Zusammen mit der Backsteinfabrik und dem Kinderbauernhof hat das TWH ein Aktionsbündnis geschlossen. Dessen vielversprechender Slogan: „Wir bleiben hier!“

Christine Berger

Das Cafe „Linie 1“ hat täglich zwischen 10 und 22 Uhr geöffnet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen