Linguist Anatol Stefanowitsch über Sprachpolitik: "Deutsch ist nicht in Gefahr"
Die Staatssprache im Grundgesetz zu verankern, könnte den Status von Platt und Friesisch erschüttern, befürchtet der Hamburger Linguist Anatol Stefanowitsch.
taz: Herr Stefanowitsch, was haben Sie gegen das Deutsche?
Anatol Stefanowitsch: Gar nichts, im Gegenteil. Ich liebe das Deutsche, wie ich alle Sprachen liebe.
Es stört Sie nur, dass Bild und der Verein deutsche Sprache (VDS) sie im Grundgesetz fixieren wollen?
Genau. Meine Petition richtet sich dagegen, dass man das Deutsche missbraucht, um einen Stellvertreter-Krieg gegen alle möglichen Phänomene zu führen, die mit der Sprache relativ wenig zu tun haben.
Wie jetzt, missbraucht - der Grundgesetzeintrag soll sie doch schützen?!
Das könnte man glauben, wenn ihr Status als Landessprache bedroht wäre. Aber der steht außer Frage: Er ist in vielen Verwaltungsgesetzen geregelt und auch de facto nicht in Gefahr. Deshalb muss man vermuten, dass es den Befürwortern einer grundgesetzlich verankerten Staatssprache um etwas ganz anderes geht: Um den englischen Einfluss, den sie für schädlich halten, und einigen sogar ums Ausleben fremdenfeindlicher Ressentiments.
ANATOL STEFANOWITSCH 40, gebürtiger Berliner, ist Professor für Linguistik, Lehrstuhl für englische Sprachwissenschaft an der Uni Hamburg seit August 2010, war von 2002 bis 2010 an der Uni Bremen. Er betreibt seit 2007 den "Sprachblog", in dem er linguistische und sprachpolitische Themen allgemeinverständlich erklärt und - pointiert - kommentiert, mittlerweile unter dem Dach des Verlags Spektrum der Wissenschaft.
Ein böser Verdacht!
Aber ein begründeter. Dafür reicht es, sich die Kampagne anzuschauen, mit der sie ihre Petition beworben haben. Im Formular, das die Bild ihren LeserInnen vorgibt, drückt sich das ja bemerkenswert deutlich aus. Da heißt es zum einen: "Ich will nicht länger in Läden einkaufen, die mit ,Sale' für den Schlussverkauf werben" - als hätte das Grundgesetz darauf irgendeinen Einfluss. Und zum anderen: "Ich will keine Zuwandererfamilien, die sich bis in die dritte Generation weigern, die Sprache des Landes korrekt zu lernen, in dem sie leben."
Na, Sprachenlernen ist doch wichtig für Integration!
Zweifellos. Aber die Behauptung, es gäbe Zuwanderer in der zweiten oder dritten Generation, die des Deutschen nicht mächtig wären, ist ja schon eine reine Fiktion. Die gibt es nicht.
Woraus schließen Sie das?
Wir reden da von in Deutschland geborenen, schulpflichtigen Kindern. In einzelnen Fällen ist da sicher Förderung nötig. Und es kann sein, dass die Schulen das eine Zeit lang übersehen haben. Aber das hat sich längst geändert, auch ohne Grundgesetz: Wo Förderbedarf besteht, muss der auch erfüllt werden, das ist allen klar. Die Amtssprache ist bereits Deutsch - und jeder, der hier leben möchte, ist dadurch angehalten, es zu lernen. Das Grundgesetz würde daran nichts ändern …
… wohl aber hätte die verfassungsrechtliche Festschreibung symbolischen Wert als Rückkehr zum monolingualen Habitus des 19. Jahrhunderts?
Das ist ein passender Begriff: Zwar würde sich in der tatsächlichen Rechtssprechung wohl wenig ändern. Aber was hier versucht wird, ist, symbolhaft die Einsprachigkeit und damit auch ein Bild kultureller Homogenität als Norm darzustellen. Und dann kann man vor dem Hintergrund dieser symbolischen Norm alles kritisieren, was diesem Bild nicht entspricht - und hätte dafür stets das Grundgesetz auf seiner Seite.
Hätte das auch Auswirkungen auf die Minderheiten-Sprachen wie das Saterfriesische, das Niederdeutsche, Romani und Sorbisch - die von der Kampagne gar nicht gemeint scheinen?
Das steht zu befürchten. Ich bin mir auch nicht so sicher, ob die Diskriminierung der Minderheitensprachen nicht zu den Zielen dieses Vorstoßes zählen. Der VDS zitiert ja gerne die Académie Française als Muster für Sprachpolitik …
… und die steht für eine stark normierte ,Hochsprache', klar.
Nun sind die Minderheitensprachen oft durch landesrechtliche Bestimmungen geschützt. Aber dieser Status würde vielleicht wieder angreifbar. Drängend ist auch die Frage, was mit den Dialekten geschieht.
Warum?
Weil die Frage, was das Deutsche eigentlich ist, also, wo es anfängt und wo es aufhört, ihre relative Offenheit verlieren würde: Dass Sorbisch nicht Deutsch ist, leuchtet schnell ein, aber was ist mit dem Plattdeutschen oder dem Bayrischen? Das ist viel schwieriger zu entscheiden. Die Interpretation liegt nahe, dass mit einem Grundgesetzeintrag so genanntes ,korrektes Deutsch' gemeint wäre - und eben Dialekte und Varietäten als minderwertig verdrängt würden.
Und deswegen haben Sie Ihre Gegen-Petition gestartet?
Ich wollte diese ausgrenzende, rückwärts gerichtete Sprachpolitik nicht unwidersprochen lassen. Denn egal, wer gerade Multi-Kulti für gescheitert erklärt und es verurteilt - das ändert ja nichts daran, dass es Realität ist. Unsere Gesellschaft ist kulturell und sprachlich vielfältig. Und im Zuge der voranschreitenden europäischen Integration wird das eher zu-, als abnehmen. Eine gesetzliche Regelung wäre da für mich das falsche Zeichen - ein Zeichen der Starre, der Abschottung und der Realitätsverweigerung.
Petition: "Grundgesetz - Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz", Mitzeichnungsfrist endet am 3. März
//epetitionen.bundestag.de:https://epetitionen.bundestag.de
Infos: http://www.wissenslogs.de
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