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Lieblingsstück 2022Immer noch geiler linker Rap

Paul Weinheimer
Kommentar von Paul Weinheimer

Das Album „Rolex für alle“ des Hamburger Rappers Disarstar war experimenteller als die Vorgänger. Thematisch blieb er seiner Linie treu.

Der Rapper Disarstar setzt sich auf St. Pauli für Obdachlose ein Foto: Georg Wendt/dpa

E r ist so etwas wie die Galionsfigur des linken Raps in Deutschland derzeit: „Rolex für alle“ fordert Gerrit Falius alias Disarstar auf seinem gleichnamigen, im Oktober erschienenen Album. Bekannt gemacht haben den Hamburger seine gesellschaftskritischen Texte: Ihn beschäftigen Themen wie Armut, Gentrifizierung und soziale Ungleichheit – kurz: Klassenkampf.

Interessant sind besonders die Widersprüche, die er dabei hervorhebt: „Ich bin nicht gegen Ferrari, ich bin für Ferraris für alle.“ Denn eine bessere Welt ist, wenn, für alle da, nicht nur für einige wenige.

Disarstar macht immer wieder klar, dass nicht der Einzelne falsch ist, sondern das ganze System: Ungleichheit ist kein Naturphänomen, und allen, die etwas anderes behaupten, kündigt er schon mal den Kampf an, mit Texten, „die sich lesen wie ’n RAF-Bekennerschreiben“ („Pausenlos“).

„Die einen fliegen ins All und die anderen sammeln im Viertel Pfand“ – welchen von beiden er sich näher fühlt, daraus macht Disarstar kein Geheimnis: In einem vorab veröffentlichten Video sah man den Rapper, wie er obdachlosenfeindliche Architektur auf St. Pauli entfernt: Ganz handfest, mit der Flex, geht es liegefeindlichen Bänken an die Bügel. Das sei noch „nicht mal das Mindeste“, heißt es dazu. In den Videos zu „Rolex für alle“ finden sich aber auch ganz zivile Spendenaufrufe zugunsten verschiedener politischer und sozialer Initiativen.

Disarstar besetzt entscheidende Nische

Produziert haben das Album der Musiker Fayzen und das Produzenten-Duo The Cratez. Die zumeist düsteren Trap-Beats passen zu Disarstars Themen, stilistisch bedienen sich die Tracks breit an seinem eingeführten Repertoire; von wütenden, politischen bis hin zu sehr ungewohnt emotionalen und persönlichen Songs („Ode an die Traurigkeit“). Zwischendurch erinnert er daran: Ich kann auch tanzbar („Hunger“), den Abschluss des Albums bildet mit „Privilegiert“ sogar ein Technobeat.

Als Ganzes betrachtet wirkt „Rolex für alle“ wegen dieser Unterschiedlichkeit etwas weniger zusammenhängend als seine Vorgänger – eine Folge von Disarstars neuer Experimentierfreude, und die ist eigentlich nur schwer zu kritisieren.

Gerade sein Mut, musikalisch neue Gebiete zu betreten, ist das Interessante. Politische Haltung, transportiert durch eindrucksvolle Bildsprache und dann wieder beinahe simple ­Lyrik: Disarstar besetzt weiterhin eine entscheidende ­Nische in der deutschen Rap-Landschaft.

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Paul Weinheimer
Freier Journalist. Schreibt neben der taz u.a. auch für ZEIT, SZ, SPIEGEL, der Freitag. Teil des Hamburger Prothese Magazin.
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