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Liebling der MassenEs geht bergab

Uli Hannemann
Kolumne
von Uli Hannemann

Wenn man nicht gleich weitermacht, ist die Fitness weg. Bei unserem Autor geht nur noch Laufen am Mittag, zur sichtlichen Freude von Trinkern und Junkies.

Hat den Schweinehund überwunden: der Jogger im Park Foto: Anette Jäger/imago

A m Morgen gehe ich nie laufen, weil der für mich die beste Zeit zum Arbeiten ist. Da hab ich am meisten Schwung, da bin ich am kreativsten. So bis zwölf, halb eins versuche ich dann spätestens auf der Piste zu sein.

Das ist eine gute Zeit. Der Park ist leer. Kaum andere Läufer. Außer mir sind da zu dieser Jahreszeit meist nur ein paar Trinker oder Drogensüchtige unterwegs. „Hopp, hopp, hopp“, spotten sie gutmütig, wenn ich an ihnen vorbeilaufe, oder: „Weiter so, Großer.“ Ein bisschen komme ich mir dabei verarscht vor. Soll ich wohl auch.

Schreiber, Trinker und Junkies. Außer mir haben nur sie die Muße, um diese Uhrzeit zu flanieren. Falls man bei ihnen überhaupt von „Muße“ sprechen kann. Und von „flanieren“, angesichts dieses eigenartig zackigen Torkelns.

Denn ebenso wie ich schon einen Gutteil meiner Arbeit verrichtet habe und nun zum rekreativen Part des Tages übergehe, haben ja auch die Drogensüchtigen ihren Kram fürs Erste erledigt. Weil, wenn du jetzt nicht zum Beispiel der Megakokser bist, der in einem fort Schnee nachschippen muss, bist du als Junkie ja nicht nonstop im Dienst. Du hast dein Blech geraucht oder deinen Saft geimpft, und hast dann erst mal eine Weile frei. Und kannst spazieren gehen.

Alles ein bisschen zwiespältig

Ich sehe ihren Spott immer so ein bisschen zwiespältig. Einerseits freue ich mich ja, sie so munter zu erleben. Uns Spießer verhohnepipelnd, latschen sie hier durch die Gegend; da gefallen sie mir gleich viel besser, als wenn sie mit dünnen Stimmchen in der S-Bahn betteln, oder ich sie mir nachts frierend auf einem Pappkarton in einer zugigen Durchfahrt vorstelle.

Hinter der in ihrer „Anfeuerung“ durchschimmernden Häme steckt die sichtliche Freude darüber, was für ein ächzendes Vollopfer vor ihren Augen über den Weg schnauft. Uncooler geht nicht. Das ist zu spüren. Bestimmt ist es gut für ihr Selbstwertgefühl, wenn sie die Arschkarte zur Abwechslung mal bei jemand anderem wähnen. Gern geschehen.

Allzeit breit, das sieht in diesem Moment nach echtem Fun aus. Daher neide ich ihnen, glaube ich, gerade ein wenig die Freuden eines ungehemmten Drogen- und Alkoholkonsums. Andererseits ist es für mich sicher auch ganz schön, das etwas anders zu handhaben, weil es mir so wahrscheinlich einfach besser geht: gesundheitlich, seelisch, beruflich, sozial. Wie gesagt: alles ein bisschen zwiespältig.

Bloß nicht hängen lassen

Vor allem fürchte ich, dass ich in meiner Aktivität nicht nachlassen darf, weil ich sonst sofort zu einer Art Sumpfwesen degeneriere. Wenn ich mich nur eine Woche hängen lasse, bin ich ganz schnell wie meine Drogenfreunde im Park.

Das habe ich nämlich schon erlebt, beim Fußball. Nach einer eher harmlosen Verletzung legte ich eine längere Pause ein, dann kam noch eine Entzündung dazu, die Fitness war weg, und schon hab ich mental irgendwie komplett den Anschluss verloren. Ich bin nicht gleich wieder aufs Pferd gestiegen. Das war der Fehler.

Dabei hab ich wirklich gern gespielt, ich hab das gebraucht, auch sozial. Aber die Vorstellung, da jetzt im Winter mit meinen fast hundert Jahren mit dem Fahrrad rauszufahren, es ist dunkel, nass, kalt, die Kontaktlinsen rein, kurze Hosen an, dann diese Sprints, die richtig wehtun, die Abschürfungen vom Kunstrasen, die in Magen, Eier und Gesicht geballerten Bälle, die Zweikämpfe, die jüngeren Mitspieler, danach drei Bier und im Graupelschauer mit dem Rad zurück.

Ich kann das nicht mehr. Ich bin weich und alt geworden. Ein Sofajunkie, nur Laufen geht noch, wenigstens das. Ich kann mich an den Spielfeldrand stellen und die ehemaligen Mitspieler ein bisschen verhöhnen. „Weiter so, Großer!“ Das kann ich.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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