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ZeitgeschehenLiebeswerben umdie Nazis

Vor 100 Jahren traten deutsche Kommunisten mehrmals gemeinsam mit Nazisauf. Der sogenannte „Schlageter-Kurs“sollte eigentlich die völkische Bewe-gung spalten, wirkte aber oft anbiederndund irritierte durch antisemitischeStereotype.

KPD-Politikerin Ruth Fischer, 1924. Foto: gemeinfrei

Von Oliver StenzelStuttgart, 2. August 1923. Es ist gerammelt voll im Dinkelacker-Saalbau in der Tübinger Straße. „Sie, die Faschisten, geben nun an, das jüdische Finanzkapital zu bekämpfen“, ruft Hermann Remmele von der Bühne in die Menge. „Schön. Tun Sie das! Einverstanden. Aber Sie dürfen eines nicht vergessen, dasIndustriekapital!“ Worauf die angesprochenenFaschisten mit stürmischem Beifall reagieren. Der Mann, dem sie applaudieren, ist Reichstagsabgeordneter der Kommunistischen ParteiDeutschlands (KPD), Mitglied in der Parteizentrale und zudem einer der führenden Köpfeder KPD in Württemberg.

Die Ereignisse waren verwirrend im Sommer 1923. NSDAP und KPD waren sich eigentlich spinnefeind, immer wieder gab es blutigeZusammenstöße zwischen Anhängern beiderParteien, nach besonders heftigen im Dezember 1922 verbot die württembergische Landes-regierung alle NSDAP-Versammlungen im Land. Doch am 21. Juli 1923 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Auf diese Entscheidung nahm der KPD-Bezirk Württemberg explizit Bezug, als die Partei für den 29. Juli im ganzen Deutschen Reich zum „Antifaschistentag“ aufrief. Auf fünf Massendemonstrationen in Ludwigsburg, Böblingen, Villingen, Ravensburg und Kirchheim/Teck sollte protestiert werden, im Aufruf vom 25. Juli dazu standen Parolen wie: „Arbeiterschaft in Württemberg! Zeigt, dass es euch ernst ist. (…) Nieder mit den Arbeitermördern! Nieder mit dem faschistischen Mordgesindel!“

Zwischen „faschistischem Mordgesindel“ undKommunisten kam es wenige Tage später zueinem denkwürdigen Zusammentreffen – aber anders, als der Aufruf hätte vermuten lassen. Beider Veranstaltung am 2. August im Dinkelacker-Saalbau handelte es sich um die erste öffentliche Versammlung der NSDAP nach dem Verbot in Stuttgart. Es gab einen riesigen Auflauf, etwa3500 Menschen im und bis zu 2500 vor dem Saal, darunter auch viele Kommunisten. Direkt nachdem NSDAP-Propagandisten und HauptrednerMax Weber sprach der KPD-AbgeordneteRemmele.

„Seine Rede war vom Anfang bis zum Ende von allgemeinem Beifall begleitet“, ist in einemPolizeibericht nachzulesen. „Zunächst schlug Remmele sehr nationale Töne an und betonte,dass sich die Ziele der Kommunisten und Nationalsozialisten in vielen Punkten berühren; eranerkannte die Begeisterung und den Kampfesmut der Nationalsozialisten, bekämpfte den Standpunkt des Hauptredners in der Rassenfrage.“ Zwei weitere Veranstaltungen mit Remmele und Nazi-Funktionären folgten. Am 10. August gab es, wieder im Dinkelacker-Saalbau, bei einer KPD-Veranstaltung sozusagen einenGegenbesuch des württembergischen NSDAP-Geschäftsführers Bodo Kaltenboeck, und am16. August wurde eine KPD-Veranstaltung imGöppinger Dreikönigssaal von dem lokalenNSDAP-Vertreter Ehni (Vorname nicht bekannt) besucht. Remmeles Rede hier kommentierte die„Göppinger Zeitung“ vom 18. August so: „Ausseinen Ausführungen ging unzweideutig eingewisses Liebeswerben um die Gunst der Nationalsozialisten hervor.“

Kampf um „die Seelender Proletarier“

Remmeles „Liebeswerben“ gehörte zum sogenannten „Schlageter-Kurs“, den die deutsche KPD im Sommer 1923 kurze Zeit verfolgte, auf Geheiß der Moskauer Komintern, der Dachorganisation der kommunistischen Parteienweltweit. Der Name bezieht sich auf den ehemaligen Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter,der wegen Sabotageaktionen gegen die franzö-

sischen Besatzungstruppen im Ruhrgebiet imApril 1923 verhaftet und am 26. Mai hingerichtet wurde – und fortan unter den extremen Rechten als Märtyrer verehrt wurde.

Die am 11. Januar 1923 begonnene Ruhrbesetzung hatte den Rechten, besonders der NSDAP, extremen Auftrieb gegeben, und die Kommunisten schienen lange ratlos, wie sie dem begegnen sollten. Überlegungen, wie die nationalistische Welle auch für die KPD ausgenutzt werdenkönnte, gab es aber schon früh. So forderte dieStuttgarter KPD-Reichstagsabgeordnete ClaraZetkin unter dem Titel „Zur Befreiung des deutschen Vaterlandes“ etwa zum Sturz der Regierung von Reichskanzler Wilhelm Cuno und zur Bildung einer Arbeiterregierung auf. In ihrerHaltung zum Faschismus blieb Zetkin aber stets klar: Der müsse strikt bekämpft werden, notfalls mit Gewalt und mit Hilfe einer Einheitsfront mit den Sozialdemokraten, sagte sie am20. Juni 1923 in einer Rede über die „Gefahrendes Faschismus“ auf einer Tagung des Exeku-tivkomitees der Komintern (EKKI) in Moskau.Die Träger des Faschismus sah sie bis in die Arbeiterklasse hineinreichen und forderte dahereinen Kampf „um die Seelen der Proletarier, die dem Faschismus verfallen sind“.

Um diese Ziele ging es im Grunde auch Karl Radek, dem Deutschlandspezialisten der Komintern, der bei der Tagung direkt nachZetkin sprach und dabei das Schicksal Schlageters aufgriff. Er würdigte ihn als „Märtyrer des Nationalismus“ und „mutigen Soldaten der Konterrevolution“, der ehrlich und tapfer in denTod gegangen sei, aber auf der falschen Seite gekämpft habe. Seine Gesinnungsgenossen müssten sich nun entscheiden, gegen wen siekämpften, damit er sich nicht umsonst geopferthabe.

Querfront?Eher nicht

Die praktische Umsetzung dieses Kurses geschah auf zwei Ebenen. Zum einen in Texten:In Parteiblättern und KPD-Publikationen wie„Schlageter. Eine Auseinandersetzung“ wurden nationalistische Vordenker wie Arthur Moellervan den Bruck oder Graf Reventlow zum theoretischen Diskurs eingeladen.

Zum anderen kam es zu gemeinsamen Diskussionsveranstaltungen, wenn auch nur wenigen. Neben einer Rede der Parteilinken RuthFischer am 25. Juli vor kommunistischen undvölkischen Studenten in Berlin sind lediglichdie Veranstaltungen mit Remmele in Stuttgart und in Göppingen bekannt.

Was sollte das Ziel dieser Aktivitäten sein? Auf der Veranstaltung am 10. August in Stuttgartschloss der NSDAP-Mann Kaltenboeck zwar für die „nähere oder fernere Zukunft gleichgerichtete Aktionen“ beider Parteien nicht aus.Doch gemeinsame Aktionen waren seitens derKPD wohl nie geplant. Statt der Bildung einer Querfront mit gemeinsamen Zielen ging es eher darum, den Nazis die Wählerschaft abzugraben.Das dämmerte wohl bald auch den Nationalsozialisten, die bereits am 14. August im „Völkischen Beobachter“ davor warnten, an gemeinsamen Veranstaltungen teilzunehmen. Für die Göppinger Veranstaltung am 16. August kam dieswohl nicht mehr rechtzeitig. Doch der NS-Redner Ehni betonte dort, wie das Lokalblatt „DerHohenstaufen“ am 17. August berichtet, dass die Nationalsozialisten „absolut nichts mit denKommunisten zu tun haben wollten, wenn sie aber, die Kommunisten, einsehen gelernt hätten, dass sie auf dem falschen Wege seien, dannwürden sie gerne in die Reihen der Nationalsozialisten aufgenommen“.

Die KPD gab ihren „Schlageter-Kurs“ baldwieder auf. Zum einen, weil die Kominternin Moskau schon wieder einen neuen Hakenschlug: Einige Vertreter agitierten gegen Radek und dessen Idee, wollten aber auch nicht zumfrüheren Einheitsfront-Kurs zurückkehren.Stattdessen lautete ab Ende August das neueZiel: für den Herbst 1923 einen Aufstand in Deutschland zu planen, einen „deutschenOktober“. Zum anderen war der Kurs nicht nurerfolglos, sondern stieß bei vielen in der Parteiselbst auf Ablehnung. Viel Kritik gab es etwa an den gemeinsamen Veröffentlichungen, der Ber-liner KPD-Funktionär Max Hesse schrieb etwa,dass den „Schweinehunden“ aus der völkischen Bewegung keine einzige Zeitungsspalte über-lassen werden sollte.

Überhaupt bekämpfte die Berliner KPD-Linkeden „Schlageter-Kurs“ scharf, doch auch dieStuttgarter Kommunisten, schreibt der HistorikerJürgen Genuneit, „verstanden den Kurs ihrerFührung nicht“.

Gebracht hatte er der KPD nichts, ob und wiesehr er ihr geschadet hat, ist schwer zu sagen; der völlig fehlgeschlagene Aufstandsversuch im Oktober, der zu einem mehrmonatigen Parteiverbot führte, war wohl weit desaströser für diePartei. Deswegen ist auch unklar, ob der „Schlageter-Kurs“ die KPD Stimmen kostete; insgesamt war die Partei in jenen Jahren im Aufstieg begriffen – bei den württembergischen Landtagswahlen bekam sie 1920 drei Prozent, 1924dann 11,7 Prozent der Stimmen, reichsweit warder Trend sehr ähnlich.

Den Nationalsozialisten in Württemberg dagegen hatten die gemeinsamen Auftritte eher genützt, schreibt Historiker Genuneit. „Essignalisierte ihnen, dass sie (in Württemberg, d.Red.) eine Stärke erreicht hatten, die auch dieKommunisten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihnen zwang.“

Im Blickfeld der Historiker ist der „Schlageter-Kurs“ auch, weil er teils als Hinweis aufeinen latenten Antisemitismus in der KPDgedeutet wird. Das erscheint zunächst paradox, gab es doch viele jüdische Parteimitglieder, etwadie Berliner Parteilinke Ruth Fischer. Dochgerade sie knüpfte in ihrer Rede am 25. Juli 1923laut einem Bericht im SPD-Organ „Vorwärts“drastisch an antisemitische Stereotypen an: „Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meineHerren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, (…)ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. (…) Recht so. Tretet die Judenkapitalistennieder, hängt sie an die Laterne, zertrampeltsie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu denGroßkapitalisten, den Stinnes, Klöckner?“ Auch wenn Fischer später diesen Wortlaut bestritt, ähneln die Worte doch sehr den eingangs zitierten von Remmele in Stuttgart.

KPD-Funktionär Hermann Remmele, etwa 1930. Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

TaktischerAntisemitismus?

War dies lediglich ein Versuch, den Antisemi-tismus der Nazis zu entlarven? Oder zeigte sich hier die Bereitschaft, den eigenen Antikapitalismus antisemitisch einzufärben, wenn es der Parteistrategie dienlich sein könnte?

Der Historiker Ralf Hoffrogge kommt zueiner differenzierten Beurteilung: „Die KPDwar ein Teil der Weimarer Gesellschaft“, derenNationalismus und Diskriminierungsstruktu-ren – und damit auch deren Antisemitismus –seien in die Partei hineingeragt. Dieses Hineinragen dürfe „jedoch nicht mit ideologischerZustimmung (...) gleichgesetzt werden“. Denngleichzeitig sei die KPD ein „jüdischer Emanzipationsraum“ gewesen, „in dem jüdische und nichtjüdische Mitglieder gemeinsam gegen Antisemitismus kämpften“.

So widersprüchlich diese Haltungen waren, sie änderten nichts daran, dass die Kommunisten zu den ersten Opfern gehörten, als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht in Deutschland kamen. Ende Februar, Anfang März 1933wurden die Parteifunktionäre in Windeseile verhaftet, die Parteistrukturen zerschlagen. Ruth Fischer konnte am 9. März gerade noch nachPrag fliehen. Hermann Remmele hatte das Land schon im August 1932 verlassen, war auf Geheiß der Komintern nach Moskau gegangen. 1937geriet er ins Visier der stalinistischen Säuberungen und wurde im März 1939 erschossen.

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