Liebeserklärung: Recep Tayyip Erdoğan
Die Gefolgsleute des türkischen Präsidenten tweeteten fleißig #WeLoveErdogan. Doch plötzlich war der Hashtag verschwunden
Erdoğan Canım, Erdoğan mein Leben. Staatsmänner wie dich gibt es heutzutage nur noch selten. Na gut, da ist noch Putin. Und Assad, der auch. Ach ja, und Kim Jong Un. Und Lukaschenko. Und Mugabe.
Okay, okay, vielleicht bist du, oh Erdoğan, doch gar nicht so allein auf der Welt. Aber was soll’s? Dein Führungsstil, den man auch liebevoll Despotismus nennen kann, lässt die Menschen erzittern. Mit welch harter Hand du dein Land regierst! Journalisten, die dich kritisieren, lässt du verhaften. Ach was, am liebsten machst du gleich die ganze Zeitung dicht. DemonstrantInnen, dieses undankbare Pack, lässt du von deinen Gefolgsleuten mit Wasserwerfern vom Platz kärchern. Die sektiererischen Kurden im Osten der Türkei und in Syrien bekämpfst du mit militärischer Gewalt. Und wenn sich die Satiresendung „Extra3“ über dich lustig macht, dann berufst du kurzerhand den Botschafter zur Rüge ein. Und die Welt? Gibt dir recht.
Niemals würden es Merkel und die anderen EU-Regierungschefs wagen, dich ernsthaft anzugehen. Schließlich hast du sie mithilfe eines schmutzigen Deals von ihrem größten Problem, der „Flüchtlingskrise“, befreit. So kannst du nun ungestört walten. Wenn da nur dieser doofe Kurznachrichtendienst nicht wäre.
#WeLoveErdogan tweeteten deine Minister fleißig, als du letzte Woche zum Atomgipfel in die USA aufbrachst. Der Liebes-Hashtag deiner AnhängerInnen trendete sich auf Twitter in schwindelerregende Höhen. Aber, oh Graus: Haben die Betreiber des sozialen Netzwerks die Tweets deiner Fans einfach gelöscht, um so den Hashtag aus den Charts zu kippen? Unerhört! Auch wenn es nicht mehr als eine Behauptung ist. Warum, oh Erdoğan, bestellst du nicht den amerikanischen Botschafter zur Rüge ein? Dann kannst du ihm auftragen, er solle dieses vermaledeite Twitter abschalten. Dann ist endlich auch die renitente Opposition in deinem Land mundtot.
Marlene Halser
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