heute in bremen : „Lieber tot, als an Schläuchen“
Auf dem Sozialforum wird die Panik vor dem Kranksein entschlüsselt
Was ist schlimmer: Krankheit oder Kapitalismus?
Greta Kurz*, Gruppe „Kritik im Handgemenge“: Natürlich sind viele Krankheiten per se schrecklich, aber es kommt eben auch auf die Bedingungen an, unter denen man krank ist. Die Krankheit wird schlimmer, wenn man als kranker Mensch verinnerlicht hat, das man eine Belastung ist.
Wundert es Sie, dass viele Menschen sich davor fürchten?
Die Hysterie, die die Vorstellung auslöst, man könnte von Assistenz abhängig sein, ist schon erklärungsbedürftig. Immer wieder befürworten Menschen etwa Sterbehilfe mit dem Argument, sie seien lieber tot, als an Schläuchen zu hängen. Das ist ein ganz schöner Schlag ins Gesicht für alle, die mit medizinischen Geräten weiterleben – denn die sagen, dass man auch so ein erfülltes Leben leben kann. Die Panik davor, dass man auf Hilfe angewiesen sein könnte hat viel mit Scham und mit Vorstellungen bürgerlicher Souveränität zu tun.
Nämlich?
Die Grundforderung an alle bürgerlichen Subjekte lautet, dass sie geschäftsfähig sein müssen und ihre Reproduktion selbst regeln können. Die Vorstellung der Abhängig läuft dem zuwider.
Handlungsautonomie ist doch nicht nur eine zur Verwertung des Einzelnen abgeforderte Zumutung...
Natürlich ist sie auch ein Wert an sich und klar ist es ein Problem, abhängig zu sein und Schmerzen zu haben. Doch gerät aus dem Blick, dass man dies ausgleichen kann, je nach dem, wie die Umwelt gestaltet ist. Es wird als rein individuelles Problem gesehen, das individuell gelöst werden muss, schlimmstenfalls eben mit dem Tod. Fragen: cja
*Name auf Wunsch geändert. „Hauptsache gesund! Krankheit und Behinderung als Super-GAU des bürgerlichen Individuums“, 20 h, Schulzentrum Grenzstraße