: Lieber Staats- als Marktgläubige
betr.: „Falscher Alarm“, Kommentar von Ralph Bollmann, „Lobbyarbeit für den öffentlichen Dienst“, taz vom 7. 1. 05
Wenn ein erwerbsloser Mensch in Deutschland in den „Genuss“ der schönfärberisch als Arbeitslosengeld II bezeichneten Sozialhilfe kommen möchte, muss er sich bis aufs Hemd ausziehen und durchleuchten lassen. Gelingt es ihm, einen der ach so tollen Minijobs zu ergattern, um sich ein paar Euro zur knapp bemessenen Stütze hinzuzuverdienen, so werden solche Nebeneinkünfte selbstverständlich mit der Staatsknete verrechnet – das Steuern zahlende Volk, das den Alg-II-Bezieher aushalte, habe ein Anrecht auf dieses Verfahren.
Nun werden bekanntlich auch die Abgeordneten der Parlamente von den SteuerzahlerInnen alimentiert, gleichwohl ist außer dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, bislang offenkundig kein Politiker oder Kommentator der Ansicht, dass mit den Nebeneinkünften der VolksvertreterInnen genauso verfahren werden sollte wie mit denen ihrer finanzschwachen WählerInnen. Mittlerweile gelte es schon per se als skandalös, so Ralph Bollmann in seinem Meinungsbeitrag, wenn ein Parlamentarier weiterhin seinen früheren Hauptberuf ausübe – „ohne Ansehen der näheren Umstände“. Bei einem Stützeempfänger wird auch nicht nach den näheren Umständen gefragt, wenn ihm die zuständige Behörde seine Nebeneinkünfte anrechnet – wobei es sich hier um Summen handelt, die unsere Diätenabzocker locker für ein Abendessen ausgeben.
Arbeitslose werden knapp gehalten, um die Staatskassen zu schonen, Abgeordnete brauchen ihre fürstlich honorierten Nebenjobs, damit sie nicht als Arbeitslose aus den Parlamenten ausscheiden. Wer die Meinung vertritt, dass Mehrfachverdiener keine üppigen Diäten erhalten sollten, vermischt nach Ansicht von R. Bollmann die legitime Debatte um politische Beeinflussung „mit einer sachfremden Neiddiskussion, die sich vor allem an Zahlen festmacht“.
Alles klar: Wer sich nicht damit abfinden will, dass denen, die kaum etwas haben, genommen, denen aber, die zur Kaste der Besserverdienenden gehören, gegeben wird, wer das nicht akzeptiert, ist ein Neidhammel. Danke für dieses soziale Wort zum Jahresanfang!
UWE TÜNNERMANN, Lemgo
Wer von einem „staatsgläubigen Deutschland“ schreibt, hat wohl vom Neoliberalismus noch nicht viel mitbekommen. Außerdem sind mir „Staatsgläubige“ immer noch lieber als „Marktgläubige“.
UWE SAFIKA, Hückelhoven
Wie wohltuend doch Ihr Kommentar ist zur mittlerweile skurrilen Nebeneinkünfte-Diskussion von Politikern. Die meisten Medien und damit auch viele Bürger scheinen in der allgemeinen Empörungsrhetorik über politische Dazuverdienste gar nicht mehr zwischen den einzelnen „Fällen“ zu differenzieren und zeichnen eifrig weiter am Bild des korrupten Politikers. Die eigentlich entscheidende Frage haben sie längst aus den Augen verloren: Wollen wir in Deutschland Wirtschaftseunuchen im Parlament? Und: Wollen wir künftig die Politik noch unattraktiver für Wirtschaftskräfte machen, als sie jetzt schon ist. Dann her mit den Verschärfungen. Die parlamentarische Wirtschaftskompetenz kann’s vertragen.
THOMAS DOCTER, Lohmar