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Archiv-Artikel

Liebe mit großen Hindernissen

JUGENDTHEATER Mit „Ayla, Alis Tochter“ inszeniert das Atze-Musiktheater eine multikulturelle Liebesgeschichte mit Songs der Komponistin Sinem Altan

Eine junge Frau verliebt sich, aber es ist der Falsche. Das jedenfalls meint ihre Familie. Deshalb versuchen ihre Eltern, sie mit einem anderen zu verkuppeln – und setzen damit eine Kette von Ereignissen in Gang, aus der es am Ende scheinbar nur noch einen tragischen Ausweg gibt.

Das ist eine oft erzählte Geschichte, klassischer Stoff, den man auf viele Arten darstellen kann: als historische Tragödie oder modernes Drama, romantisch oder brutal, traditionsgläubig oder aufklärerisch. Das Atze Musiktheater hat sich – nicht ungewöhnlich für ein Kinder- und Jugendtheater – für den sozialpädagogischen Weg entschieden: In „Ayla, Alis Tochter“ ist das verliebte Mädchen türkischer Herkunft, ihr Liebster Deutscher – auch schon fast klassischer Dramenstoff.

Trotzdem ist „Ayla“ alles andere als bloß ein pädagogisches Lehrstück. Auf der nahezu schmucklosen Bühne ziehen die jungen Schauspieler die Zuschauer in ihren Bann, bringen sie zum Lachen und rühren sie zum Weinen. Etwa Hüseyin Ekici, gerade 19 Jahre alt, der im Neuköllner Heimathafen auch schon den „Arabboy“ spielt: Unbeschwert und überzeugend spielt er im Atze den „Turkoboy“, der mit Freunden frech über Mädchen flachst, sich selbst eine deutsche Freundin gönnt und dann irgendwann doch spürt, dass an dieser Verteilung von Rechten etwas ziemlich ungerecht ist. Oder Tanya Ersin als „Ayla“, die ihre Eltern ebenso wie den deutschen Jungen liebt und nicht versteht, warum das nicht zusammen gehen soll. Toll ist auch Sinan Al-Kuri (ebenfalls Mitspieler in „Arabboy“), der Aylas Vater spielt. Er bildet treffend die Hilflosigkeit ab, die entsteht, wenn jemand Regeln durchsetzen soll, die er eigentlich gar nicht durchsetzen will. Das ist eine bewegende Geschichte, und besser wird sie noch durch die Musik: Lieder, die die junge Komponistin Sinem Altan (die kürzlich auf dieser Seite porträtiert wurde) geschrieben hat und die Begum Tüzemen so schön singt, dass man gar nicht Türkisch können muss, um sie zu verstehen.

Trotz aller Möglichkeiten und Nuancen, die die Personen bieten, bleibt das Stück an manchen Stellen in Stereotypen verhaftet, die man auf einer Berliner Jugendbühne im Jahr 2010 so schwarzweiß lieber nicht mehr sehen möchte. Etwa, wenn die verzweifelte Ayla sich zwischen „deutschem“ und „türkischem“ Leben hin- und hergerissen sieht: Türkisch sein heißt da: den Traditionen verhaftet, die unabänderlich auch bis zum Tochtermord führen. Wer anders lebt, ist per Definition eben „deutsch“, integriert.

Das mag daran liegen, wie der Autor des Stückes, Thomas Sutter, Leiter des Atze-Theaters, den Kontext sieht, in den er es bettet: Das Zusammenwachsen, schreibt Sutter im Begleittext, „der lebendige Austausch von Berlinern unterschiedlicher Kulturen“, sei auch nach mehr als 40 Jahren Einwanderung nur „ein gesellschaftlicher Wunschtraum“: Er habe, obwohl zeitlebens in Kreuzberg lebend, kaum Kontakt zu türkischen Berlinern.

Dass die Lebenswelt der Jugendlichen, für die er doch schreibt, anders aussieht, zeigt aber auch sein Stück: etwa, wenn junge Kampfsportler die Karateübungen „Dönerhändler“ oder „Deutscher“ aufführen. Sie machen Witze über Zuschreibungen und Identitäten, gehen spielerisch mit solchen Stereotypen um. Dass, wer althergebrachte Regeln aufbricht, damit gleich zum „Deutschen“ – was immer das sein mag – wird, mag immer noch starre Auffassung mancher konservativer Elternhäuser sein: umso mehr ein Grund, das nicht genauso nicht auf einer Jugendbühne darzustellen. Die Jugendlichen wissen längst, dass es unabhängig von Herkunftskulturen viele verschiedene Wege zu leben gibt, und haben entsprechende Vorbilder.

Bleibt zu hoffen, dass das auch die Lehrkräfte wissen, die mit ihren Schulklassen das Stück besuchen werden (und sollten!). In den anschließenden Diskussionen sollte dafür Raum gelassen werden, statt die Turko- und Arabboys und -girls wieder auf Rollenbilder festzunageln, von denen die meisten doch einfach nur endlich mal frei sein wollen. ALKE WIERTH

Nächste Aufführungen: So., 24. Januar, So., 21.–Di., 23. Februar. Weitere Termine und Karten: www.atzeberlin.de