: Liebe, Benefiz und Rock ’n’ Roll
Es war einmal ein Junge, der ein Mädchen liebte. Das aber arbeitete in einem indischen Waisenhaus. Dort wütete der Tsunami. Da organisierte der Junge ein Benefizfestival im tiefsten Brandenburg. Darum müssen nun alle Independentfans nach Storkow
VON JAN STERNBERG
Diese Geschichte beginnt im Oktober 2004 im Süden Indiens, in der 15.000-Einwohner-Stadt Mamallapuram im Bundesstaat Tamil Nadu. Dort verbringt die Abiturientin Eva Senger aus Brandenburg ein freiwilliges soziales Jahr in einem Waisenhaus mit 70 Kindern. Am zweiten Weihnachtstag trifft die verheerende Tsunami-Welle auch auf Mamallapurams Strand: Die Einwohner flüchten ins Landesinnere. Nach vier Tagen trauen sie sich an die Küste zurück, das Waisenhaus steht noch, viele der Fischerhütten sind zerstört. „Wir waren Notquartier, haben unsere ganzen Reisvorräte verteilt“, erzählt Eva.
Die Geschichte setzt sich fort in der märkischen 9.200-Einwohner-Stadt Storkow (Oder-Spree). Dort hört der 18-jährige Johann Schwarz die Nachrichten aus Indien. Er macht sich Sorgen um Eva. Die beiden waren einmal zusammen, halten noch guten Kontakt. Auch als er von ihr beruhigende Nachrichten bekommt, geht ihm die Tragödie des Tsunami nicht aus dem Kopf. Er will helfen, organisiert lokale Spendensammlungen. Dann hat der musikverrückte Schüler eine Idee: Ein Benefiz-Festival könnte den Kindern von Mamallapuram wirklich helfen.
Das war so eine Idee
Viele würden jetzt ungefähr so denken: Na gut, das ist so eine Idee. Man müsste was machen. – Ja, müsste man. – Aber bestimmt klappt das eh nicht. – Lassen wir’s also. Johann Schwarz denkt anders. Er überzeugt den Storkower Tourismusmanager, dass er die Burgruine über der Stadt für zwei Tage zum halben Mietpreis bekommt, fragt bei Booking-Agenturen an. Johann, Sohn des Revierförsters von Storkow, Schüler der 13. Klasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Fürstenwalde, organisiert das wohl schönste Festival dieses Sommers. Zwei Tage, 21 Bands, ein Querschnitt durch die erweiterte Berliner Indiepop-Szene. Auf den entsprechenden Internet-Seiten hat Johanns Projekt bereits die Runde gemacht. „Wo liegt eigentlich dieses Storkow?“, fragen Fans, und: „Wie spricht man eigentlich Mamallapuram aus?“ Zur ersten Frage: Am Großen Storkower See, an dem auch die Festival-Zeltwiese aufgebaut wird. Zur zweiten: Wie man’s schreibt.
Tobias Siebert freut sich schon: „Das ist eins der besten Festival-Programme dieses Jahres. Wir haben bestimmt zwei schöne Tage“, sagt der 28-Jährige. Nun sollte fairerweise hinzugefügt werden, dass Tobias Siebert an vielen der in Storkow auftretenden Bands in der einen oder anderen Weise beteiligt ist: bei „Klez.e“ singt er, bei „Delbo“ spielt er mit. Und viele andere Gruppen haben ihre Alben in seinem Studio „Radio Buellebrueck“ in Pankow aufgenommen: Die Gitarrenpopper von „Hund am Strand“ zum Beispiel.
Ein paar andere Bands wird es natürlich auch noch geben in Storkow: „Hidalgo“ aus Nürnberg, die Post-Punk-Riffs mit der Traumstimme von Betty Mugler kombinieren und die in Storkow ihr neues Album „I Want A Girlfriend“ vorstellen werden. „Die Platte hat’s echt verdient“, sagt Tobias Siebert ganz ohne Neid – und wendet sich grinsend zu seinen Mitmusikern von „Klez.e“ um: „Jungs, zieht euch warm an!“
Auch „Klez.e“, benannt nach einem Computerwurm, der freundliche Botschaften massenhaft versandte, sind zurzeit im Studio. Da ist ein Live-Auftritt schon Erholung, wie im Club „Rosi’s“ in Friedrichshain vor einigen Tagen.
Zwei Jungs und ihr Traum
„Hallo, wir sind Klez.e aus Ingolstadt“, ruft Tobias in die alte Werkshalle nahe dem S-Bahnhof Ostkreuz – ein Scherz, Tobias ist gebürtiger Ostberliner, die Band eine Hauptstadt-Combo. „Aber dieses ganze Berlin-Ding ist uns scheißegal“, sagt er sympathischerweise. „Diese Bands, die immer Videos mit gelben Straßenbahnen und dem Fernsehturm drehen müssen – das ist so langweilig!“
Tobias, der musikalische Workaholic, ist zehn Jahre älter als Johann, der unermüdliche Organisator – ansonsten sind sich die beiden ziemlich ähnlich. Zwei ruhige, nette Jungs, die für ihren Traum malochen. Zwei, die in den Clubs der Hauptstadt zu Hause sind – und ihre Jugend im brandenburgischen Wald verbrachten. Noch zwei Wochen sind es bis zum Festival. Johann klingt etwas unsicher. 110 Karten sind im Vorverkauf abgesetzt, ab 300 zahlenden Zuschauern sind die Kosten drin, alles darüber wird interessant für das Waisenhaus von Mamallapuram. „Ich hoffe nur, dass ich nicht bis ans Ende meines Lebens die Schulden abarbeiten muss“, sagt Johann mit einem gequetschten Lächeln.
In seiner Schule haben ihm zunächst viele einen Vogel gezeigt – jetzt fragen sie ihn auch nach Karten. Obwohl Johann mit seinem am Berliner Sender Motor FM geschulten Musikgeschmack am Fürstenwalder Gymnasium beileibe nicht in der Mehrheit ist. „Die meisten hören eher Charts-Musik wie Christina Aguilera“, meint er.
Die wird nicht nach Storkow kommen. Eva Senger, die Frau, mit der alles anfing, dagegen schon. Zurück aus Indien, studiert sie jetzt in Köln Medizin. Nach Mamallapuram möchte sie bald zurückkehren, am liebsten mit einem großen Scheck. Sie hofft daher natürlich auf einen Erfolg ihres Exfreundes – schüttelt aber auch ein bisschen den Kopf vor so viel Elan. „Johann hat sich mitreißen lassen, den kann man nicht mehr stoppen. Aber es ist bewundernswert, in seinem Alter.“ Sagt die 20-Jährige über den 18-Jährigen.
Mamallapuram Festival, 19./20. August, Burghof, Storkow (Oder-Spree). Informationen im Internet: www.mamallapuram.de. Warm-up zum Festival mit Team Blender (live), 11. August, 21 Uhr, Rosi’s, Revaler Str. 29, Berlin-Friedrichshain