Lidokino: Jesus über mir, Jesus unter mir
Kino als Religion: Terrence Malicks und Paul Thomas Andersons Beiträge in Venedig thematisieren religiöse Verstrahltheit - mal ignorant, mal kühn.
A m Sonntagmorgen um neun ist Messe in der hölzernen Kathedrale der Sala Darsena. Der Priester heißt Terrence Malick, die Predigt steht unter dem Titel „To the Wonder“ und dauert fast zwei Stunden. An ihrem Ende klatschen die Frommen frenetisch, während die Ungläubigen empört buhen.
Wer je gedacht hat, das Kino sei manchmal so etwas wie eine Ersatzreligion, ein Ort, an dem man sich der Sehnsucht nach Transzendenz hingeben kann, obwohl man aus der Kirche ausgetreten ist, der wird von Malick eines Besseren belehrt: In „To the Wonder“ passt nicht mal mehr eine Oblate zwischen Kino und Religion.
Malicks Wettbewerbsbeitrag ist einer der am meisten erwarteten Filme der Biennale, nicht zuletzt, weil das Gesamtwerk des 1943 in Illinois geborenen Regisseurs im Vergleich zu dem Gewicht, das man ihm beimisst, recht schmal ausfällt.
Seit dem Debüt „Badlands“ (1973) hat er fünf weitere Filme gedreht. Im Mittelpunkt des jüngsten steht ein Paar, Marina (Olga Kurylenko) und Neil (Ben Affleck), das sich in Frankreich begegnet, sich – unter anderem beim Spaziergang durch den Klostergarten von Le-Mont-Saint-Michel – unsterblich verliebt und bald nach Oklahoma zieht. Doch im Alltag, was Wunder, verbraucht sich die Liebe rasch, ohne dass man genau erführe, weshalb. Der Schmollmund von Olga Kurylenko muss als Erklärung reichen.
Eine kühne, freie Filmerzählung
Marina hat eine zehn Jahre alte Tochter. Anfangs ist die Patchwork-Situation heiter und verzaubert wie alles, was Emmanuel Lubezkis Kamera einfängt. Doch nach einem ersten Streit der Erwachsenen hält Tatiana Neil vor: „Du bist nicht mein Vater.“ Es dauert nicht lange, und das Kind verschwindet aus dem Film. Aus dem Off ertönt die Stimme der Mutter: „Tatiana sehe ich nicht mehr, sie lebt wieder bei ihrem Vater.“
Die Episode ist kennzeichnend, denn dort, wo tatsächlich zwiespältige Gefühle, Furcht und Sorge zu erkunden wären, wo es wirklich ein Drama gäbe, guckt der Film lieber erst gar nicht hin. Hinzu kommt ein Priester in Glaubensot (Javier Bardem), der durch Armenquartiere und durch sein eigenes Haus irrlichtert. Seine Stimme raunt wie die Marinas im Off, seine Zweifel an Jesus bilden ein Grundrauschen, das gegen Ende in ein Loblied kippt: „Christus in mir, Christus über mir, Christus unter mir, Christus rechts von mir, Christus links von mir.“
Umso besser, dass Paul Thomas Andersons analog und im 65-mm-Format gedrehter Wettbewerbsbeitrag „The Master“ ein Gegenmittel bereitstellt. Anderson hält von Realismus-Konventionen ähnlich wenig wie Malick. Doch während sich „To the Wonder“ in christlicher Reverie ergeht, hat „The Master“ die Bildmacht und die Erfindungsgabe, die es für eine kühne, freie Filmerzählung braucht. Auch hier geht es um Formen religiöser Verstrahltheit, namentlich um eine Sekte Anfang der 50er Jahre, in der, wer will, Scientology erkennen kann.
Angeführt wird sie von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman), der Hypnose, Zeitreise, Gesprächstherapie und Manipulation zu einer eigenen Mixtur verrührt und dies dann als Heilmethode gegen allerlei Gebrechen anpreist. Im Gegenzug verlangt er unbedingte Gefolgschaft. Fast wie ein Hund läuft ihm eines Tages Freddie Quell (Joacquin Phoenix) zu, ein Drifter, der im Zweiten Weltkrieg im Pazifik gekämpft hat.
Die ersten Szenen des Films fangen die Tage rund um den Abzug der Truppen ein. Großartig zu sehen, wie die Matrosen an einem Strand balgen, wie sie Kokosnüsse knacken und aus Sand eine nackte Frau aufschichten – fast so, als wären sie Abgesandte aus Claire Denis’ wunderbarem Film „Beau Travail“. Und die Frau aus Sand spendet auch dann noch Trost, wenn es Lancaster Dodds Psychoreligion nicht mehr tut.
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