Lidokino: Viele schwere Jungs
■ Charme und Sinnlichkeit dringend gesucht: Ein seltsamer Geist from outer space findet sich in Venedig in einer Schachtel Gebäck
Charles Chaplin soll einmal gefragt worden sein, was den Unterschied zwischen ihm und seinem Publikum ausmache. Angeblich antworte er, Charme und Energie, das fehle den meisten. Heutigen Regisseuren fehlt selbst die Sensibilität für diese Qualitäten, möchte man ergänzen. Erstaunlicherweise lassen sie auch die großen alten Autorenregisseure wie der Argentinier Fernado E. Solanas, der Portugiese João Botelho oder der Rumäne Lucian Pintilie vermissen. Tumber Elan fehlt Mitu in „Terminus Paradis“ zwar nicht, um allen Widrigkeiten zum Trotz die Kellnerin Norica zu heiraten, leider aber jeder Charme. So bleiben am Ende einige Leute tot auf der Strecke, er eingeschlossen, nur damit die junge Witwe das gemeinsame Kind zu der orthodoxen Kirche tragen und taufen lassen kann, in der sie und Mitu einst heirateten.
Manche Zuschauer wollten, um diesen Heftchenroman zu retten, in Pintilies Film eine Metapher für das Leben in Rumänien sehen, aber das liefe auch nur auf das Klischee des verrückten, sentimentalen Balkans hinaus. Wenn man „Terminus Paradis“ nicht völlig desinteressiert folgte, dann wegen des unauffälligen Realismus, mit dem die Geschichte in Bukarest und Umgebung in Szene gesetzt wurde. Und wegen der raffinierten erzählerischen Ellipse, die Mitus Ende für einen Moment offen erscheinen ließ. Schwere Jungs scheinen überhaupt die Lieblingshelden der Regisseure zu sein. In Claudio Caligaris „L'odore della notte“ raubt Remo Guerra (der Darsteller Valerio Mastandrea mochte als fader George-Clooney-Ersatz durchgehen) mit seiner Bande in den Außenbezirken von Rom die Schönen und die Reichen aus.
Mehr als ein nervendes Gewalttheater, das an einen mißverstandenen „Reservoir Dogs“ denken läßt, holt Caligari aus der Kriminalgeschichte, die sich in den 70er Jahren wirklich ereignet hat, nicht heraus. Ja, doch, Dialoge, in denen junge Frauen zum Helden sagen, „Du bist anders als die anderen.“ (Geist, hör auf zu lachen!) Im Kontext solcher Filme stellte sich Steven Soderberghs „Out of Sight“ als elegantes, vergnügliches Kinoerlebnis heraus. Der Held ist George Clooney selbst, und wenn der ein schwerer Junge ist, dann mit attitude, wie Variety sagen würde. Attitude ist schon ganz nahe an Charme dran. Und Charme und Sinnlichkeit zeichnete schließlich die Liebesszene aus, die Soderbergh zwischen dem Bankräuber und der Polizistin inszenierte. Sie ist erinnerungswürdig.
Besitzt Woody Allens „Celebrity“ Charme? Schwer zu sagen. Der Film über die üblichen Beziehungsprobleme der üblichen Metropolitans, Journalisten, TV- und Filmleute hat auch den üblichen Witz, den Allen jedoch in weiten Teilen etwas zu routiniert ans Publikum rüberreicht. Wer diesen Allen mag, wird sich amüsieren, wer da eher Probleme hat, wird sich in „Celebrity“ mit Sicherheit langweilen. (Der Geist meint, ich solle sagen, daß ich noch einmal auf Allen zurückkommen werde.)
Sie fragen sich, wie es überhaupt zu meinem Geist kam? Nun, er fand sich in einer Schachtel Gebäck. Da die Zeit zwischen den Filmen kaum zum richtigen Essen reicht, stopft zwangsläufig jeder jede Menge Hamburger (am besten vegetarisch mit Mozzarella und Ruccolasalat) in sich hinein und natürlich Süßigkeiten – vor allem morgens um zwei. So wie der Geist aussieht, stammt er nicht aus meinem inner mind, sondern von outer space her. Er ist zwar klein, aber ein real existierender Geist. Brigitte Werneburg
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