Lidokino: Aphrodites Kußmund
■ Woody Allen wohlauf: eine Komödie um ein Adoptivkind
Über den neuen Woody Allen war vorab dies und das durchgesickert, was sich aber nicht so recht zu einem kohärenten Bild fügen wollte. Es hatte einerseits geheißen, die Sache behandle schwerste Eheprobleme (die den Allenschen wie immer gefährlich nah kommen sollten) und andererseits spiele sie in einem Amphitheater, welches er, gemeinsam mit seiner Liebsten Soon Yi, während der letzten Biennale in Augenschein genommen hatte.
Seltsamste Vorstellungen von Nervenzusammenbrüchen unter offenen italienischen Himmeln, von Tod und Verderben und Blutschande hatte man also mit ins Kino geschleppt und ein wenig gebangt, ob die ganze antikisierende Inzestdebatte ihm womöglich ein wenig den Nerv geraubt hätte. Aber eigentlich hätte einen der Titel schon eines Besseren belehren können. „The Mighty Aphrodite“ eröffnet tatsächlich im Amphitheater, mit einem Chor in traditionellen erdfarbenen Masken, der zunächst aus der Antigone deklamiert, im tiefen Brustton des Verhängnisses. Und klagt! And then Oedipus, and then Antigone, o weh und ach, um dann plötzlich zu sagen: „And when your children grow up / they move to ridiculous places like Idaho.“
Szenenwechsel: Restaurant in New York. Der Sportreporter Lenny Weinrib (Woody Allen) und seine Frau Amanda, eine aufstrebende Galeristin (Helena Bonham Carter!), wollen zwar irgendwie ein Kind, aber sie will nicht dick werden und leiden und hat eh wenig Zeit. Also Adoption. Wenig später wird ein Frisches angeboten, gerade den Morgen geboren, nichts dran, kerngesund. Den nehmen wir. (Wie soll er heißen? Harpo Weinrib? Cole Weinrib? Max Weinrib! Ja, das klingt gut, Dr. Max Weinrib, Rabbi Max Weinrib, das ist gut.) Max wächst in Windeseile zu einem umwerfend süßen, klugen und überhaupt wunderbaren Knaben heran, im selben Tempo allerdings fällt die Ehe auseinander. („Dad, wer ist eigentlich der Boß bei euch beiden?“ „Das mußt du noch fragen? Ich bin der Boß! Deine Mutter trifft nur die Entscheidungen.“) Sie will eine Galerie in Tribeca und überhaupt was Neues, er lebt ohne Trost vor sich hin, bis er sich schließlich auf die Suche nach der Frau macht, die dieses wunderbare Kind geboren hat. Sie ist die fehlende Hälfte, die sein Leben komplett machen würde. Sie hat permanent die Namen gewechselt: Linda Ash, Linda Wailes, Jenny Orgasmus. Orgasmus? Ja, sie ist eine Pornokönigin, eine Billignutte, aber er muß trotzdem hin. Er muß ihr Leben ändern. (Als er einen guten Mann für sie gefunden hat, behauptet er, sie sei Schauspielerin und habe in „Schindlers Liste“ mitgespielt, was man erst dann so richtig goutieren kann, wenn man ihre Wunderbrüste und ihre Kußschnute sieht. Zwischendrin treten natürlich, wie einst Bogart in „Play it again, Sam“, einzelne Chormitglieder auf und mahnen und warnen. Aber spätestens, wenn es dann über Cassandra heißt: „Oh, here comes old party-pooper“, weiß man, daß man sich um Woody Allen im Moment überhaupt keine Sorgen machen muß.
Filme über Mode werden von der seriösen Kritik mit denselben Ressentiments verbellt, denen die ganze Branche schon bei Robert Altman zum Opfer fiel: Eitler Tand statt innerer Werte, geschaffen immer nur für einen Sommer statt für die Ewigkeit, sind promisk, hybrid und ungebildet. „Unzipped“, ein von der Zeitschrift Elle organisiertes Porträt des New Yorker Modemachers Izaac Mizrahi, hat diese traurigen Bedenken nicht und will kein Party-pooper sein, sondern mitfeiern, wenn es heißt: Fräulein Campbell, übernehmen Sie: die 1994er Herbstkollektion von Izaac Mizrahi.
Das ist der Film, den Altman hätte machen sollen, wenn er nicht so sauertöpfisch wäre, hier kann einer sagen: „Alles, was ich will, sind Felljacken, aber wenn ich das mache, werde ich auf der 7th Avenue gesteinigt“, und es ist in Ordnung, wie auch die Einlagen aus dem Eskimofilm „Nanook of the North“ oder der Szene, wo Bette Davis zu Joan Crawford im Rollstuhl sagt: „You aren't gonna leave this house“, die Mizrahi zu einigen Schnitten und seinem tuntig-tenorigen Sound inspirieren. Wenn dann eine Woche vor der Eröffnung ein Magazin den Titel „Gaultiers Herbstkollektion: Eskimos“ trägt, dann ist es eine echte Katastrophe und nicht nur eine Hysterie. Mariam Niroumand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen