Lidokino: David Bowie wird Andy Warhol
■ Amerikanisch ja, aber unabhängig muß es sein: Die Biennale hatte „Independence Day“
Ist das noch Beat? Wer „Queen of Sheeba meets the Atom Man“ (1961, Retrospektive) von Ron Rice erlebt hat, weiß, daß sich der tragische Ton und vor allem die strahlende Isolation des Beat-Poeten im Kino nicht lange halten ließen: Alles drängt zur Orgie. „The Atom Man“, eine Art Harpo-Marx für den Experimentalfilm, streift zunächst, nachdem er alle Vaselinetöpfe in seiner Wohnung ausprobiert hat, mit Alien-Augen rasch durch die Stadt: Action-Filming. Pfützen, großartige glitzernde Panoramen, Brillo-Boxen (!) sind ihm alles eins. Daß er dann im Museum of Modern Art stehen bleibt, wo er anschließend versucht, eine Giacometti-Statue zu würgen, gibt dem Begriff Kunstheldentum eine ganz neue Wendung. In seiner Freizeit liest er „Diary of a Nymph“. Es erklingt durchaus schon mal Chopin. Was man unter dem eigenen Hut findet, soll man küssen. Schließlich trifft er auf eine riesige schwarze Frau, an deren Geschlecht er gemeinsam mit einem guten Bekannten mittels einer Bärenpranke spielt. Man weiß ja nie.
Herzlich amüsierte sich auch ein Abendgrüppchen, als jemand laut aus der neuen Zeit vorlas, in der nicht zuletzt die Libertinage der audiovisuellen Kultur in den Kindsmord und sogar Mißbrauch führt – bebildert ausgerechnet mit Cindy Sherman. Einmal in alberner Stimmung, bringt man nicht einmal mehr den nötigen Ernst auf, Manoel de Oliveiras neuen Film „Party“ zu goutieren, in dem Michel Piccoli an der Seite von Irene Papas vis-à-vis einem jungen brasilianischen Paar charmiert und antichambriert. („Es ist unanständig, wenn eine Frau ihrem Mann öffentlich zeigt, daß sie ihn liebt. Damit kränkt sie die Begierde der anderen Männer.“) Als sie sich am Tisch gegenübersitzen, steht leider ein großer hölzerner Fisch zwischen ihnen, so daß sie die schönen Sätze mal ober-, mal unterhalb sprechen müssen. Es gehen Spekulationen, de Oliveira selbst könnte es nicht ernst gemeint haben (das kann er nicht ernst gemeint haben). Wir wollen ihn heute auf der Pressekonferenz fragen.
Immer größeres Interesse finden amerikanische Independents: Hier darf man amerikanische Filme mögen und zugleich Hollywood hassen. Von den Independents aus den sechziger Jahren, wie sie zur Zeit hier in der Retro zu sehen sind, trennt sie nicht nur das größere Budget, sondern vor allem die akademische Schulung: Ein Drang nach visueller Verrätselung macht sich breit, während die Sensation von Filmen wie „Queen of Sheeba...“ immer war: Alles zeigen! (Und auch: Lerne zeigen, ohne zu erzählen).
Robert Lepage, der Kanadier, der mit „The Confessional“ auch in Deutschland Anhänger fand, stellte hier „Le polygraph“ vor, die Geschichte eines Frauenmords, die mit Lügendetektor anfängt und mit schwerem Zimmerbrand endet. Dazwischen jede Menge Symmetrien: Parallelmontage einer Autopsie und einer Vorlesung über die Berliner Mauer (beide Male wurde in der Mitte geteilt, harhar), Voyeure, die belauscht werden und so weiter. Alles ist so mit Bedeutung aufgeladen, daß „Whodunit“ eine viel zu banale Frage ist.
Was will ein Mädchen? Kurz bevor Courtney Love mit rosa Schal durch Julian Schnabels „Basquiat“ ging, gab es „A Fistful of Flies“ von Monica Pellizari, ein italo-australischer Film über eine junge Katholikin, die ein kompliziertes Verhältnis zu Fliegen hat und nicht vom Onanieren lassen kann. Sie können sich denken, daß es in einem italienischen Kino denkbar still wurde, als schließlich auch ihre Mutter Geschmack an der Sache findet und beide vor versammelter, der Ohnmacht naher Nachbarschaft, die Schöße in den Wind halten.
Um diese Art von Dingen ging es überhaupt nicht in Julian Schnabels Porträt des haitianischen Malers Jean-Michel Basquiat, der als Warhols (David Bowie) „Maskottchen“ in die Geschichte einging, eine Geschichte, die Schnabel dringend korrigieren möchte. Natürlich ist eine Hagiographie daraus geworden, schon weil Basquiat jung lebte und hart gestorben ist. Trotzdem: Durchaus genau wird die komplizierte Position Basquiats beschrieben; rezipiert als „arte povera“, als Aufschrei aus dem Ghetto und überhaupt als einziger schwarzer Maler von irgendeiner Bedeutung, will er dringend sowohl Reputation und Limousine als auch Abstand. Der Film läßt einen in den Bildern herumspazieren, als böten sie wirklich ein Fenster ins Freie. Mariam Niroumand
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