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Lido finitoDumm und arrogant

■ Alle Fragen offen: Ein Skandal und viele Löwen am Ende des Filmfests in Venedig

Auch Felice Laudadio war das Festmahl zu üppig. Das ist die Nachricht, die am Ende der 55. Filmfestspiele von Venedig für Aufsehen sorgte. „Dumm und arrogant“ nannte er den Wettbewerb und forderte seine Abschaffung. Völlig überraschend gab Laudadio zugleich bekannt, daß er nicht mehr für das Amt des Festivalleiters kandidieren werde. Sein Vertrag läuft am 30. September aus.

Eigentlich sah alles danach aus, als habe er große Anstrengungen unternommen, um sich für die Kandidatur zu empfehlen. Er hatte die Zahl der Filme, die er jetzt als zu groß kritisierte, gegenüber dem Vorjahr erheblich reduziert und den Filmmarkt auf die Beine gestellt. Es war freilich schon während des Festivals zu bemerken, daß seine Nerven blank lagen. So beschimpfte er auf einer Pressekonferenz die sogenannten „Culturali“, Leute aus dem weiteren Umfeld von Film, Presse und Industrie, die mit einem speziellen Ausweis ausgestattet sind. Sie seien eben etwas dumm, was sich schon aus dem Namen Culturali ergebe.

Dabei hätte Laudadios Vorschlag, die verschiedenen Sektionen aufzulösen und das Festivalprogramm auf nur vierzig Filme zu reduzieren, durchaus etwas für sich. Denn am Ende der 55. Mostra wußte man zwar vieles, aber was man sich eigentlich unter dem aktuellen Kino vorzustellen hat, das wußte man nicht. Amerika, Italien und Frankreich dominierten, der Rest der Welt trat nur vereinzelt auf. Dann freilich meist besser als es die klassischen Filmländer taten (Mohsen Makmalbaf erhielt für „Le Silence“ den Preis des Senates).

Aus den USA jedoch kamen mit die originellsten Beiträge, die in Venedig zu sehen waren, von „The Truman Show“ bis zu Warren Beattys „Bulworth“. Ihm wurde immerhin der Goldene Löwe für sein Lebenswerk zuerkannt. Der Darstellerpreis für die beste weibliche Hauptrolle an Catherine Deneuve in Nicola Garcias „Place Vendôme“ ist gerechtfertigt. Allein wegen ihr ist man gewillt, der extrem komplizierten Geschichte um eine verratene Liebe und den Verkauf einiger Diamanten, die aus dunklen Quellen stammen, zu folgen.

Den Preis für den besten Schauspieler erhielt Sean Penn in Anthony Drazans „Hurlyburly“. Da es ein Leichtes wäre, sich Sean Penn noch sechs weitere Stunden koksend und monologisierend anzuschauen, muß auch dieser Preis in Ordnung sein. Mit dem Spezialpreis der Jury, den Lucian Pintilie mit „Terminus Paradis“ erhielt, wäre Eric Rohmer sicher besser ausgezeichnet gewesen, als mit dem „Osella doro“ für das beste Drehbuch. Denn Rohmers Film lebt nun wirklich nicht so sehr von seinem Drehbuch, als vielmehr von seinem kargen, aber entschiedenen Kamerastil und von seinen Schauspielerinnen.

Mit Erleichterung nimmt man auf, daß Emir Kusturica für „Black Cat, White Cat“ den silbernen Löwen erhielt, denn es stand zu befürchten, daß er das Gold bekäme, das nun Gianni Amelios „Cosi ridevano“ zufiel. Der Film war ein möglicher Preisträger. Doch gerade Amelio nimmt mit seinem Film nur Bezug auf eine vergangene italienische Film- und Literaturgeschichte. Wenn er zeigen kann, daß sich die Emigration des Mezzo Giorno in den industrialisierten Norden weniger polemisch, parteipolitisch und ideologisch unterfüttert darstellen läßt, als sie bislang behandelt wurde, dann ist dies ein filmisches Argumentieren nach hinten. Man vermeint ihn ständig mit den Autoren und Filmemachern debattieren zu sehen, die das Thema zuvor behandelten. Um seine Position zu beziehen, reduziert Amelio das Thema auf die Geschichte zweier sizilianischer Brüder, die völlig bindungslos in der Industriemetropole Turin um ihren Aufstieg kämpfen. Bindungslos, bis auf die Bindung ihrer Bruderliebe, die sich bei Giovanni (Enrico Lo Verso), dem analphabetischen älteren Bruder der Grenze des Wahns nähert. Als Arbeitsvermittler und Vermieter tritt er seinen Landsleuten aus dem Süden gegenüber wie ein Zuhälter auf, um mit dem so erbeuteten Geld Pietros (Francesco Guifridda) Studium zu finanzieren. Dieser wird schließlich einen von Giovanni begangenen Totschlag im Gefängnis büßen. Einfach, weil Giovanni phantasiert, daß sein Bruder beim Streit mit einem der von ihm ausgebeuteten Männer gar nicht anders konnte, als für ihn in die Bresche zu springen. Brigitte Werneburg

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