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■ Lido-KinoAlbanien – Ende

Gerade noch hatten wir in der Trattoria um die Ecke darüber gesprochen, daß man japanische Touristen selten als Einzelindividuen wahrnimmt, da kam Gianni Amelio mit ein paar Freunden herein. Das gesamte Lokal applaudierte dem Regisseur, italienische Kollegen standen auf und umarmten ihn, die Kellner funkelten froh mit Italieneraugen. Wir konnten das noch nicht so verstehen, weil wir nämlich gerade erst in die Vorführung seines Filmes wollten, und weil man sowas natürlich in Deutschland nicht so kennt.

Nach dem Film, der „Lamerica“ heißt, (man muß das mit diesem Hoffnungssound aussprechen), versteht man, wieso so jemand hier umarmt wird. Zwei italienische Kleinunternehmer machen sich auf den Weg nach Albanien, um dort irgendeine halbseidene Billigproduktion zu starten; Schuhe waren es, glaube ich. Die Überbleibsel der albanischen Regierung verlangen aber, daß beide einen albanischen Partner finden. Wie Dante an der Hand von Vergil zieht der unerfahrene Gino (der Polizist aus „Gestohlene Kinder“) mit seinem Kompagnon, slick Fiore, in ein ehemaliges staatliches Konzentrationslager. Ohne Tageslicht, neben den Ratten in der Nässe vegetieren hauptsächlich ältere Leute, alle sprechen, lallen, wimmern vor sich hin. Zunächst schüttelt Fiore generös ein paar Hände, aber in einer stillen Ecke kommen die Elenden auf ihn zu und drohen ihn zu fressen. Immer wieder zeigt der Film solche Szenen; Massen von Hungrigen, die im Handumdrehen zu Wölfen werden – auch diesen Film hätte man Wolfen nennen können.

Jedenfalls finden sie den Mann, den sie für ihre Zwecke brauchen. Sein Name ist angeblich Spiro Tozaj; er ist etwa 20 Jahre politischer Gefangener gewesen, redet nicht viel und hat das Schreiben fast vergessen. Ein altes müdes Tier.

Aber auf dem Weg in ein Mutter-Teresa-Heim läuft er Dino weg, und von da ab beginnt für beide eine „Odyssee“, die ins Herz des Horrors führt, der langsam von Ost nach West zieht. Wie in Brechts Gedicht von dem Pferd, das in wenigen Sekunden von Hungrigen gefressen wird, demontieren die Jungen auf dem Land Dinos Auto. Sie fangen den Alten und räuchern ihn zum Spaß in einer Höhle fast zu Tode. Im Krankenhaus erfährt Gino, daß der Alte vor dem Krieg Italiener war, mit Mussolinis Armee nach Albanien gekommen, und das er unter dem kommunistischen Regime diese italienische Identität tunlichst abgelegt hat (italienische Lieder, Namen, Worte waren verboten). Er ist Sizilianer, genau wie Gino; und für einen kurzen Moment sehen sie sich mit neuen Augen.

Kennen die Albaner das Land, wo die Zitronen blühen? Keineswegs; aber sie reden von nichts anderem. In LKWs, Wartesälen, Gefängnissen und Kinderheimen – überall ist die Rede von dem Wasser und dem Bett, das jeder in Italien bekommt, und der schönen Arbeit; manchmal sieht man Berlusconis Fernsehprogramm. Überall sind Hunderte von Leuten zuviel. Trotzdem schafft es Amelio, die Massen nicht als Kellerasseln zu zeigen.

Gino hat Angst, die Angst der Italiener, sie könnten bald kontaminiert werden mit all dem schleichenden Grau, dem Chaos, Identitätsverlust und dem Elend, das gen Italien drängt. Man nimmt ihm seinen Paß ab und es bleibt unklar, ob er endgültig verloren ist. Auf dem voll bepackten Schiff jedenfalls, auf dem er zu fliehen versucht, trifft er den Alten wieder, der nach wie vor glaubt, er lebe in der Nachkriegszeit, in der ja auch alles angefangen hat, was man in „Lamerica“ sieht. Jetzt wähnt er sich auf dem Weg nach New York ... Mariam Niroumand

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