berliner szenen: Letzte Zuflucht Bibliothek
Jetzt kommt der Herbst“, sagt die Bibliothekarin, „da werden wir wieder zur Wärmehalle.“ Ich lese jetzt wieder oft in Bibliotheken. Also vor. Für Eintritt frei. Aus meinen Büchern. Ich mag das sehr. Die Bücher, das geduldige Publikum, der graue Teppichboden, gemustert mit dem Erbe aus zwanzig Jahren Automatenkaffee. In Buchhandlungen flüstern neue, duftige Bücher mit glänzendem Einband: „Kauf mich, dann gehöre ich dir ganz allein!“ Bibliotheksbücher sagen: „Komm, lies mich, andere haben es auch schon gemacht.“
Bibliothekslesungen in Berliner Stadtbüchereien sind für Autoren die Safaris unter den Veranstaltungen. Die erste Herausforderung besteht darin, die Bücherei zu finden. Die sind meist in Shoppingmalls untergebracht, aber so versteckt, dass auch ja niemand durch die Möglichkeit des Leihens vom Kaufen abgelenkt wird.
Die Bettina-von-Arnim-Bibliothek zum Beispiel, wo ich neulich gelesen habe, befindet sich in dem Gebäudekomplex der Schönhauser Allee Arcaden, ist aber durch das Einkaufszentrum nicht erreichbar, obwohl das Logo draußen dranklebt. Man muss das Mauseloch neben dem Schnellrestaurant auf der Schönhauser finden und dann durch die frittierfettgeschwängerte Luft des Treppenhauses in den dritten Stock hoch, direkt über der S-Bahn. Man kommt sich vor wie das Schmuddelkind, das zum Dienstboteneingang geführt wird.
Am schärfsten ist der Eingang zur Bibliothek Neukölln, da bin ich am Seiteneingang der Neukölln Arcaden mit dem Lastenfahrstuhl zum Parkdeck hoch und dann durch das Autohaus durch den Seiteneingang in die Bibliothek. „Die Einsamen finden uns immer“, sagt die Bibliothekarin. „Wir sind ja auch deren letzter Zufluchtsort. Draußen ist es kalt, und Wohnungen haben die oft nicht mehr.“ Lea Streisand
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