"Letzte Lieder" in Berlin: Aufhören ist schwer
Lob der schlechten Laune, Zweifel am Sinn der Kunst: "Letzte Lieder" am Deutschen Theater in Berlin ist doch wieder ein schön erfundener Schein.
Aufhören ist schwer. Man denke nur an die Liebe, wie wenig man das hinkriegt, "einfach mal loszulassen", wie Barbara Heynen singt. Oder Rücktritte, sind ja auch fast nie eine runde Sache. Horst Köhler, Mubarak, Margot Käßmann … hinten auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin feiern die angeblich Party und nuscheln "ich bin ja so glücklich" ins Mikrofon, das Nicolas Stemann, Regisseur des Abends, ihnen als Reporter ins Gesicht rammt. Vorne halten derweil zwei Assistenten dieser Show über den Abschied Spiegel-Titel hoch über Burn-out, Depression und gewesene Politstars. Einmal rutscht ein Foto von Merkel und Westerwelle dazwischen, "Rücktritt" steht groß drüber, da lacht das Publikum im Deutschen Theater. Bisschen Kabarett darf sein, man ist auf Amüsieren eingestellt, schließlich ist "Aufhören! Schluss jetzt! Lauter! 12 letzte Lieder" als Liederabend angekündigt.
Man amüsiert sich besonders, als das "Aufhören" das Theatermachen selbst betrifft. Warum spielen wir, welchen Sinn hat das denn? Margit Bendokat, in Federboa und Revueglitter, trägt den Dialog zweier Schauspieler vor, die das Deutsche Theater mit dem 100 Meter entfernten Friedrichstadtpalast vergleichen. "Wären wir nicht alle viel glücklicher, wenn wir einfach nur Trampolin springen dürften, ohne dass es gleich etwas bedeuten müsste?", fragen sie sich und "Produzieren wir all diesen Sinn nur, weil sonst auffallen würde, dass wir all das andere nicht können?". Mit unglücklichen Gesichtern stehen die Schauspieler dabei um ein Trampolin herum. Ja, tatsächlich, könnten sie mehr Artistik, müssten sie nicht Projekte mit Regisseuren machen, die gerade nicht so recht weiterwissen.
Nicolas Stemann agiert als Regisseur gerne wie ein Bandleader, mit Schauspielern und Musikern auf der Bühne. Damit hat er Textmassen wie Elfriede Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns" in großartige Performances umgewandelt, die nie in Routine erstarren. Für "Aufhören!" hat er selbst mit den Musikern Thomas Kürstner, Sebastian Vogel und dem Dramaturgen Benjamin von Blomberg die Texte geschrieben. Nicht alles davon ist geglückt, gerade da, wo sich die Texte literarischen Vorbildern anschmiegen, klingt es schon mal nach ambitionierter Schülerzeitung. Auch das Spiel mit der Provokation des Zuschauers, mit dem Zuschauen aufzuhören, ist eitel geraten.
Anderes aber entschädigt für diese Spiegelfechterei. Zum Beispiel Felix Goeser im rückenfreien Kleid - Männer sollten viel öfter rückenfrei tragen -, der seinem Spielführer mehrere Nummern lang unwirsch folgt, innerlich einen Absprung vorbereitend, mit dem man nicht mehr gerechnet hat. Erst glaubt man, dass sich da tatsächlich doch ein Schauspieler aus seiner Rolle verabschiedet, aber dann ist genau das seine Rolle. Alle anderen singen sich schon warm für das Happy-end, Abba-gestützt, da bricht aus Goeser die Geschichte eines Flugbegleiters hervor, der eines Tages, genervt von der infantilen Versorgungsmentalität der Fluggäste, den Notausgang nahm. Das ist als persönlicher Ausbruch eines Einzelnen gestaltet und doch ein allgemeiner Abgesang auf die Déformation professionelle der Dienstleistungsgesellschaft. Es gibt schön arrangierte Songs über schlechte Laune und Depression, mal mit Heimweh nach dem Mangel aus DDR-Zeiten begründet, mal mit dem Recht auf Nichtanpassung an die Maßstäbe von Glück, Leistung und Erfolg.
Der Weg von einem Lied zum nächsten ist dank der rotierenden Drehbühne tatsächlich als Weg angelegt, den alle durch eine Landschaft von Revuetreppen, Dschungelcamp, Wohnzimmer und jeder Menge Instrumente zurücklegen. Dieses physische Herumwuseln und Suchen nach der nächsten Beschäftigung, mal selbst zu spielen, mal anderen zu assistieren, mal der Sänger zu sein, mal die Begleitung auf dem Klavier, erzeugt eine Energie, die unterschwellig noch eine andere Erzählung mitliefert. Dass nämlich alle, die wir da sehen, eigentlich prächtig als Team funktionieren, eine locker organisierte Gemeinschaft, in der im richtigen Augenblick stets jemand am richtigen Platz ist.
Das ist das eigentlich Romantische an Stemanns Arbeitsweise, wer sähe sich nicht gerne so in ein Team eingebunden. Und es ist womöglich auch die größte Illusion, die er erzeugt, dass alle hier aus eigenem Interesse spielen. Damit ist das Theater, das aufhören will, Theater zu sein, doch wieder ein schön erfundener Schein. Wie gesagt, aufhören ist schwer.
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