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Letzte Ausfahrt: WirklichkeitDas Begehren der Bäuerinnen

Warum macht man Filme? Einige Antworten von der Berlinale

Ich muss mich korrigieren, gleich an zwei Punkten: Erstens wird die Misogynie auf diesem Festival von einer ganz massiven Androphilie flankiert; zweitens: Wie kann es einen Trend zum Strand geben, wenn das einziges Wasser, das ein spanischer (!), ja balearischer (!!) Film mit dem Titel „El Mar“(!!!) zeigt, ein Goldfischaquarium ist. Ein Aquarium allerdings, das von einem dampfenden, blutenden, halbnackten schönen Jüngling fast in einem Zug ausgetrunken wird, nachdem er soeben mit einer Axt eine leidenschaftlich dampfende Bluttat an seinem Herrn und Vergewaltiger begangen hat. Ja, schöne nackte Männer, sorgfältig gefilmt und liebevoll beleuchtet, ja berochen, gab es nicht nur in diesem Film reichlich zu sehen. Und diese Androphilie verbreitet sich nicht etwa koextensiv mit der Misogynie, sondern besetzt genau das andere Territorium, die nichtmisogyne Gegenwelt: als ob der Androphile immer auch ein Philanthrop, der Misogyne immer auch ein Misanthrop wäre (ist vielleicht auch so?!?).

Doch wo bleibt bei so klaren Einstellungen zur Menschheit die Kreatur, das Tier? In „Mademoiselle“, der großen, zu Recht von Jeanne Moreau als Film zu ihrer Lifetime-Ehrung ausgewählten Studie zum Trendthema „Sexualneid“, lässt der Sohn eines der sexualisierten, von den Bäuerinnen begehrten und daher von den Bauern erschlagenen Italienern seinen Frust an einem Kaninchen aus, das er so brutal erschlägt, wie man es nicht einmal dem Yuppie-Scum vom Potsdamer Platz wünschen möchte (gab es damals schon Tierrechtler, die die Dreharbeiten checkten?). In „El Mar“ lässt ein ebenfalls von seiner Umgebung sexualisierter und auch sonst ziemlich dampfender (und oft blutender) Junge seinen Zorn an einer Katze aus, die er erst halb tot schlägt und dann ersäuft.

Wir wollten von der Post-Ideologie berichten. Gemach. Zuvor die Frage, die ich mir in diesen Tagen am häufigsten stelle: Warum macht man eigentlich Filme? Wer gibt sich, nur um Dinge mitzuteilen, die auch ein Roman oder ein nur in der Idee existierendes Werk von Lawrence Weiner sagen könnte, monatelang mit Handwerkern, Fahrern, Trägern, Ingenieuren, Matte-Malern, Computernachbearbeitern ab, ganz zu schweigen von Geldgebern, Reißschwenkern, Rechtsanwälten und anderen unangenehmen Zeitgenossen? Nein, nicht Masochisten, nein, man nennt diese Leute Unternehmer: Chefs, Bosse, Tyrannen – oder eben Yuppie-Scum.

Trotzdem – ich weiß nicht, wie man sich dazu stellen soll, vielleicht doch bewundern: In „Magnolia“ wird wirklich alles an inhaltlichem Reichtum, an Darstellerleistung, an Reißschwenkkultur der Jahrtausendwende, an Drehbuchverwicklung, Ebenenwechseln, Überraschungen, Einstellungen, Filmmaterialwechsel und Rechtsanwaltskunst aufgeboten, alles, was das US-Kino zwischen „Pulp Fiction“, „Twin Peaks“ und Coen-Brüdern in den letzten Jahren getestet und für zeitgemäß und challenging zugleich befunden hat, in einer zweistündigen Intensitäts-Steigerungsorgie hoch geschraubt, bis, ja bis sich nach und nach die Schlinge des Sinns, der Botschaft, ja, der Ideologie um das Werk zuschnürt. Nun ist es richtig Scheiße, nun menschelt das Meisterwerk, nun leckt es durch den Boden – nun hat es, ich wette drauf, den blöden Bären gewonnen.

Welche Ideologie übrigens? Die, die fast alle Filme zur Zeit beherrscht, die rührenden wie „The Long Way Home“, die gewohnheitsnaturalistischen und milieusicheren Jetzt-werden-die-68er-60-Filme wie „Paradiso“ – und überhaupt alle auch schon vorher: die biografistische Lebenslauf-legt-sich-in-die-Kurve-und-kommt-doch-schön-in-die-Zielgerade-Ideologie, der Hallo-Papa!-Ach-du-bist’s, Ödipus!-Man-darf-die-Vergangenheit-nicht-verdrängen-Kitsch, die Männerbewegung, der Scheiß, der bei „American Beauty“ irgendwie noch eingeklammert und sehr okay war und jetzt, wo’s einmal geklappt hat, immer und überall auf der Welt klappen soll. Es sind eben doch keine Unternehmer, die die erwähnten Völkerscharen durch die Gegend scheuchen, es sind Söhne!

„Paradiso“ fand ich natürlich gut. Dass Rudolf Thome seinem so genau gekannten, und immer wieder so dermaßen nahe-naturalistisch inszenierten Selbstverwirklichermilieu jetzt auch noch ins siebte Lebensjahrzehnt folgt, und man noch immer die ganze Zeit mit einem vollkommen verkrampften Grinsen im Kino sitzt, als wäre man wirklich mit all diesen Typen – und vor allem Typinnen – aufs Land eingeladen und müsste mit ihnen anstoßen und sich schmunzlig-liebe Selbstverwirklicherweisheiten anhören. Das ist natürlich in Wirklichkeit unideologisch, da gibt es eine Chronistenpflicht. Was allein schon Kempowskis Sohn im Jahre 2030 daran für eine authentizitätsbesoffene Freude haben wird. Nun aber wie versprochen zur Post-Ideologie. Oh, kein Platz mehr, dann beim nächsten Mal: knuddlige New-Romantic-Nazis treffen Veteranen des japanischen Links-Terrorismus in Nordkorea, unterm milden Lächeln des mittelgroßen Steuermanns!

Diedrich Diederichsen

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