Letzte „Anne Will“-Sendung: Abschied ohne Tamtam
Nach „Wetten, dass..?“-Moderator Thomas Gottschalk hat jetzt auch noch Talkmasterin Anne Will ade gesagt. Fehlen wird vor allem ihre Ironie.
W eil unter der Woche viel Schwerverdauliches passiert, macht Deutschland sonntagabends ein kollektives Bäuerchen. Politiker:innen tischen noch einmal auf, Expert:innen servieren und liefern Kritik oder Zustimmung, während die Speisen in die Verdauungsröhren des Publikums flutschen. Und wenn die Zuschauer:innen aufstoßen mussten oder ihnen etwas im Hals stecken blieb, dann war Anne Will zur Stelle. Über drei Millionen Zuschauer:innen sahen vergangenen Sonntag bei ihrer letzten Sendung zu.
Das Publikum brauchte nie extra einzuschalten, sondern konnte nach dem „Tatort“ einfach dranbleiben. Danach lief direkt die politische Diskussionssendung an, laut NDR die meistgesehene im deutschsprachigen Raum. Vergangenen Sonntag wurde Abschied genommen, mit Navid Kermani (Autor), Raphael Gross (Historiker), Florence Gaub (Leiterin des Nato Defense College) und Robert Habeck (Vize-Kanzler).
Unter dem Motto „Die Welt in Unordnung“ sollten die vier Gäste in sechzig Minuten so viel wie möglich erörtern: Ukraine, Nahostkonflikt, Deutschlands Rolle in der EU, Haushaltsloch. Dementsprechend wirkte die Show protokollartig, zu Diskussionen kam es kaum, gesagt wurde nicht viel, was nicht woanders schon verlautbart wurde. Schade, wäre es doch schön gewesen, Will in ihrer letzten Sendung nicht nur den Redestab von Gast zu Gast zu reichen, sondern eine lebendige Diskussion gestalten zu sehen.
Gegen Ende machte das Ganze aber dann doch kurz Spaß, als Will versuchte, Habeck mit Theatralik aus der Reserve zu locken. Als der wiederum versuchte, sich um die Frage zu winden, ob es bald eine Lösung für das Haushaltsloch geben werde, und sagte, er sei optimistisch, entgegnete Will: „Ich bin erschüttert, Herr Habeck, Sie sagen, es kann sein, dass es nicht klappt!“
Blumensträuße und Diashow
Seltsam unausgesprochen über der Runde hing das Wissen, dass es die letzte von Wills Moderationen sein würde. Im Gegensatz zum Gottschalk’schen Abschiedsgetöse bei „Wetten, dass..“ am vorherigen Wochenende wurde während der Sendung kein Tamtam darum gemacht, am Ende gab es dann aber doch ein paar Schlussworte, Blumensträuße und ein Zusammenschnitt, in denen Wills Präsenz die einzige Konstante war.
16 Jahre lang re(a)gierte sie, mitunter mit Ironie. Ihr Schmunzeln sprengte den seriösen Rahmen der Talkshow zwar nicht, fügte dem Bildschirm aber immerhin Risse hinzu, die die Selbstdarstellung so manchen Politikers durchkreuzten. Mit Will saß da eine, die besonders zähe, irrlichternde Vorträge mimisch zu würdigen wusste.
In diesen Momenten wurde Will zum Medium zwischen Publikum und Gästen, denn ihre Reaktionen drückten das aus, was sich die Zuschauer:innen zu Hause vielleicht schon dachten. „Mensch, der nervt! Wo rennen wir jetzt hin? Widerspruch, Widerspruch!“ Kurzzeitige ironische Distanzen zur Gästeriege schufen Nähe zum Publikum.
Künftig geleitet die bisherige „ Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga die „Tatort“-Nicht-Abschalter:innen durch die Debatten der Woche. Will möchte sich fortan neuen Projekten widmen. Welchen, das wollte sie nicht verraten. Auf jeden Fall haben diese auch was mit Fernsehen zu tun. Gut so, denn ihre letzte Sendung fühlte sich einfach zu wenig nach Abschied an.
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