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Letter from ShanghaiGeh wie ein Ägypter

■ Die Chinesen lieben „Aida“, weil der Prunk der Oper zur konservativen Parteilinie paßt

Asienkrise hin oder her – in Shanghai wird keinesfalls gekleckert, sondern weiterhin geklotzt, zumindest wenn es um die Vollendung und Inbetriebnahme jener grand projects geht, die nach dem Willen der Stadtregierung den Rang des Wirtschaftszentrums Shanghai als Kulturmetropole sicherstellen sollen. Die Umwidmung des ehemals kolonial besetzten Rennbahnareals in der Stadtmitte ist abgeschlossen; modellhaft geradezu die Überlagerung des Fremden durch die baulichen Repräsentanten des neuen China: Volksplatz statt Turf, am Rand anstelle der Tribünen das als weißer Quader sich auftürmende Rathaus, inmitten der ebenso gewaltigen wie spärlich neu begrünten Platzanlage das im Herbst 1996 eröffnete Shanghai Museum. Wie ihre Nachbarn ist nun auch die Oper monumental geraten, und da sich im offiziellen China die kulturelle Bedeutung in Zahlen mißt, zeigt man sich von den 62.803 Quadratmetern nutzbarer Fläche pflichtschuldig beeindruckt.

Das Pariser Architekturbüro Jean-Marie Charpentier und Partner, 1994 Gewinner des internationalen Wettbewerbs für das „Grand Theatre“, entwarf für Shanghai einen Baukörper, der soliden Modernismus mit dem örtlichen Hang zur „architecture parlante“ zu versöhnen sucht. Von außen ergibt sich der Eindruck eines Gebäudes, das es fertigbringt, zugleich transparent und – dank schierer Größe – ungemein schwerfällig zu wirken. Ein gewaltiger Sockel sorgt für Abstand von den Niederungen des Alltags, während das mehrstöckige gläserne Foyer von innen den Blick auf Platz und Stadt freigibt. Dem Kubus des Bühnenhauses sitzt ein geschwungenes Dachsegment auf, das mit seiner Quadrat- und Kreisgeometrie die Symbolik der chinesischen Kosmologie als Erde und Himmel zitiert und der Konstruktion traditioneller Pavillonarchitektur nachempfunden ist. Die Oper antwortet damit auf das von einem Shanghaier Architekten entworfenen Museum, dessen formale Inspiration sich von einem bronzezeitlichen Ritualgefäß herleitet.

Chinesisches wurde zur Eröffnung allerdings nicht geboten; das „Grand Theatre“ ist keineswegs ein Tempel der Peking-Oper oder ihrer lokalen Variante, der Kun-Oper. Die wird in Shanghai weiterhin in kleinen und kleinsten Theatern und Sälen aufgeführt, vor kennerschaftlichem, aber in stetem Sinken begriffenem Publikum.

Letzten Sonntag erklommen wir die Stufen des „Grand Theatre“ zur chinesischen Erstaufführung von „Aida“, koproduziert mit dem Florentiner Opernhaus. Daß gerade dieses Pyramidendrama gegeben wurde, war ein schöner Tusch in Richtung des ewigen Konkurrenten Peking, wo man einige Zeit zuvor „Turandot“ (ebenfalls unter der segensreichen Mithilfe des Maggio Musicale Fiorentino) mit Macht in ihre vorgebliche Heimat zurückgeführt hatte. Shanghai ließ sich nicht lumpen, und so schlugen auch hier die Exotismen Purzelbäume. In Peking hatte man den Historienfilmer Zhang Yimou zur Bebilderung von Puccinis chinoisem Märchen engagiert; in Shanghai war die Inszenierung ganz und gar dem Geist der französischen „pompiers“ verpflichtet, der Salonmaler des 19. Jahrhunderts, die uns Glanz und Elend jeglicher Antike so breitwandig nahegebracht haben. Hinreißend hier auch der altmeisterliche Bühnentrick, die Komparserie hintenrum gleich mehrfach aufmarschieren zu lassen. Dem corps de ballet hatte man Gesten beigebracht, die an den Achtzigerjahrehit „Walk like an Egyptian“ gemahnten, und die Sänger agierten in einer Kulisse schierer Ägyptomanie mit genau der steifen Künstlichkeit, die der westliche Zuschauer gemeinhin den Mimen in Peking-Opern unterstellt.

Angesichts des historistischen Spektakels ließ sich wunderbar darüber nachsinnen, ob wohl die Veranstalter geglaubt hatten, dem Shanghaier Publikum eine inspiriertere Inszenierung wegen der mangelnden Vertrautheit mit dieser Kunstform nicht zumuten zu können. Zumindest gelang es mühelos, die europäische Oper als ebenso erstarrte Kunstform erscheinen zu lassen, wie es die in einer kreativen Sackgasse angelangte chinesische Oper ist. Das fatale Paradox der Konservierung auf einem Stand lange vor 1949, angesichts der unabsehbaren sozialen und kulturellen Umbrüche in China, gebiert offensichtlich die Vorstellung, auch das ausländische Publikum sei vor Aktualisierung, Neuinterpretation oder gar der Aufführung „ungereinigter“ Texte zu schützen.

So geschehen im Laufe dieses Sommers, als das ambitionierte Projekt des in New York lebenden Regisseurs Chen Shizheng, die Oper „Päonienpavillon“ aus dem 16. Jahrhundert ungekürzt aufzuführen, von der Shanghaier Kulturbehörde nach langen und zähen Verhandlungen zu Fall gebracht wurde. Weder die Weltpremiere im Juli im New Yorker Lincoln Center fand statt, noch wurden die für November in Paris und Caen geplanten Auftritte realisiert. Inzwischen haben die künstlerischen Leiter des Festivals Theater der Welt, Nele Hertling vom Hebbel Theater und Thomas Langhoff vom Deutschen Theater in Berlin, mit großem Bedauern bekanntgegeben, daß die Inszenierung 1999 auch in Deutschland nicht zu sehen sein wird. Die Positionen sind zu festgefahren; die chinesische Seite besteht weiterhin auf der Streichung wichtiger Szenen und verhindert durch ihren Zensurakt den Blick der Welt auf eines der Meisterwerke chinesischer Opernkunst. In Shanghai genießt man derweil „Aida“ wie weiland im Uraufführungsjahr 1871. Stephanie Tasch

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