Letter from Shanghai: Grüße von den „Fünf Teufeln“ des Lao she
■ Niedlichkeitsalarm: Das Jahr des Hasen begann mit Plüschtieren und Feuerwerk
Xin Nian Kuai Le! Alles Gute zum neuen Jahr! Und Shanghai drosselt sein Tempo. Alljährlich zum chinesischen Neujahrsfest beobachten wir fasziniert, wie der Autoverkehr zum bloßen Tröpfeln gerinnt (nur die verbliebenen Taxifahrer nutzen die Gelegenheit zu schwungvollen Geschwindigkeitsübertretungen).
Der Himmel wird blau und blauer, da auch die Fabriken und Großbetriebe ihren Anteil an der Luftverschmutzung verringern, und die meisten Geschäfte schließen. Die sonst so hastigen Shanghaier schlendern familienweise durch die Straßen, beladen mit Geschenken – großen, rot-bunten Orangenkartons oder flitterumwobenen Obstkörben, die das Angebot der Obsthändler bis an die Bürgersteigkanten ausdehnen. Kein Laden, kein Restaurant, kein Hotel ohne Orangenbäumchen vor der Tür, denn die goldenen Früchte sollen das Ihre zu Glück und Reichtum im neuen Jahr beitragen. Zum höchsten chinesischen Feiertag widmet man sich traditionell der Familie, dem guten Essen und geht am ersten Neujahrstag in neuen Kleidern in den Tempel, um zu beten. Was bereits in der Neujahrsnacht vor dem nahe gelegenen Jing-An-Tempel zu einem veritablen Verkehrsstau führte.
Shanghai glänzt rot und golden, den festlichen und glück
bringenden Farben, von denen bereits Weihnachten die Rede war. Aber nun sind es die kindlichen Glücksgötter, die die Türen schmücken oder das prächtig gestaltete Schriftzeichen „fu“ (Glück) – aber nur, wenn es auf dem Kopf hängt! Schließlich heißt „Fu dao le!“ sowohl „Das Schriftzeichen ,fu‘ hängt verkehrt herum“ als eben auch „Das Glück ist da!“ Untergebene und Kinder bekommen Geld in „hong baos“, roten Papiertüten, und da nun das Jahr des Hasen das des Tigers abgelöst hat, herrscht überall Niedlichkeitsalarm – die „xiao bai tu“, die kleinen weißen Hasen, sind in allen Größen und Materialien über uns hereingebrochen.
Es gibt Leute, die behaupten, in Shanghai sei über Neujahr nichts los, und die daher (besonders, wenn sie Ausländer sind) die Stadt fluchtartig in Richtung der thailändischen Strände oder österreichischen Skipisten verlassen. Dabei entgeht einem der Hauptspaß im neuen Jahr: die zwei Nächte, in denen mittels opulenten Feuerwerkens das neue Jahr begrüßt und die bösen Geister vertrieben werden.
Bekanntlich ist China das Land, in dem das Schwarzpulver und die Kunst des Knallens erfunden wurden. Die Chinesen sind seit der Tang-Dynastie (618 bis 907) begeisterte Pyrotechniker, heutzutage exportieren allerdings manche der Feuerwerksfabriken bis zu 80 Prozent ihrer Produktion ins Ausland, nicht zuletzt nach Europa. Feuerwerkskörper werden von Frauen hergestellt, deren Händen man mehr Sensibilität im Umgang mit Sprengstoffen zutraut – Löffel für Löffel in Pappröhren, bis die Dinger dann, in Knallfarben (vor allem Rot) verpackt, auf den Märkten und bei den Straßenhändlern landen.
Die Arbeit ist extrem gefährlich. Seit letztem Dezember gab es fast hundert Tote in illegalen Feuerwerksfabriken und ebenso viele Verletzte. Die Shanghaier Polizei beschlagnahmte in der Woche vor dem chinesischen Neujahrsfest eine halbe Tonne illegaler Knallkörper. Trotz dieser Bemühungen muß reichlich Stoff übriggeblieben sein, denn die Stadt explodierte zwei Nächte lang (vor allem zwischen elf und zwei) in einer atemberaubenden Lärm- und Lichtwolke. Irgendwann nehmen die Ohren nur noch ein gleichmäßiges, dumpfes Grollen wahr, unterbrochen von besonders lauten Kanonenschlägen, vielleicht waren es aber auch die „Fünf Teufel, die sich der Verurteilung widersetzen“ – Feuerwerkskörper, die der Schriftsteller Lao she in seiner Lebensgeschichte eines Pekinger Rikscha-Kulis böllern läßt.
Erfahrungsgemäß versinken nach etwa einer Stunde intensiven Feuerwerkens die gegenüberliegenden Hochhäuser im grauen Rauch der Raketen.
Das Ganze ist natürlich verboten. In zwanzig chinesischen Großstädten, unter ihnen Peking und Shanghai, darf in der Innenstadt aus Sicherheitsgründen kein Feuerwerk abgebrannt werden. Eine Verordnung, die in Shanghai schon seit Jahren niemanden anficht. Die Tradition, der Spaß an Knallerei und Funkenregen, in diesen Zeiten wirtschaftlicher Probleme vielleicht auch ein gesteigertes Bedürfnis, ein gutes Jahr per überirdischer Hilfe herbeizuzwingen, all dies mag dazu beigetragen haben, daß der pyrotechnische Überschwang noch um einiges üppiger wirkte als in den vergangenen Jahren.
Wie gefährlich der Feuerwerkstaumel in den extrem eng bebauten Gassen der älteren Stadtteile ist, zeigte sich, als unter uns neben den grauen auch schwarze Rauchschwaden aufzusteigen begannen. Ein Haus brannte, die Nachbarn knallten munter weiter, das Feuer wurde anscheinend gelöscht, die Polizei erschien, nachdem schon alles vorüber war. Am Neujahrsmorgen sind die Straßen um so stiller: gesäumt von roten Papierfetzen, soweit das Auge reicht. Stephanie Tasch
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