■ Lesetip: Das stille Sterben
Für vieles muß der Boden herhalten. Er dient Pflanzen als Wachstumsgrundlage, filtert und speichert Niederschläge und muß zu alledem noch ungeheure Mengen von Abfall- und Schadstoffen auffangen und abbauen. Viele Vorgänge bleiben unter der meist dunklen Oberfläche verborgen – auch die drohende Zerstörung eines komplexen Ökosystems. So hielt sich lange der Glaube, der Boden könne fast alles ertragen, schlucke klaglos alle Abfälle.
In seinem Buch „Boden in Not“ schildert Günter Fellenberg Geschichte und Konkurs des „größten Recyclingunternehmens der Erde“. Prägnant und ungewöhnlich gut verständlich beschreibt er die komplexen Prozesse der Gesteinsbildung und Verwitterung, erläutert, wie der entstehende Schutt mit Wasser und Wind auf die Reise geht, wie sich die verschiedenen Bodentypen bilden und schließlich Leben im Boden entsteht. Pflanzenschutzmittel und Schwermetalle stören die empfindliche Vernetzung von Pflanze, Erde und dem unüberschaubaren Heer winziger Bodenorganismen. Der Boden hat einiges zu schlucken, die Folgen der jahrelangen gedanken- und gnadenlosen Verseuchung werden jedoch nur langsam erkannt. Fellenberg illustriert die verborgenen Zusammenhänge, macht die Mechanismen verständlich. Doch nicht nur die sattsam bekannten und immer wieder zitierten „Giftmordanschläge“ tragen Schuld an der zunehmenden Zerstörung. Straßen und Bauwerke bedecken in Deutschland fünfzehn Prozent der Fläche, schwere Ackergeräte verdichten den Boden. Häufig genutzte Flächen sind kaum noch in der Lage, genügend Niederschläge aufzunehmen und zu speichern. Infolge der intensiven Trinkwassergewinnung und der ehrgeizigen Kanalisierung von Flüssen sinkt der Grundwasserspiegel. Die Liste der menschlichen Frevel ließe sich noch lange mühelos fortsetzen. Seit 1971 – und damit spät genug – hat die Politik das „Umweltmedium Boden“ als schützenswert anerkannt, in der Europäischen Bodencharta wird die Notwendigkeit eines gesetzlichen Schutzes erklärt. Doch mit der hehren Absicht ist es nicht getan. Fellenberg verdeutlicht, daß viele Zusammenhänge, Veränderungen und Belastungen nur schwer mit einiger Verzögerung erkennbar sind. Der Botaniker fordert dementsprechend eine ständige Überwachung, um negative Auswirkungen möglichst frühzeitig erkennen zu können. Gerade die schleichende Vergiftung des Bodens stellt die größte Gefahr dar – die Zeit zwischen Ereignis und Auswirkung verstellt dem Menschen den Blick auf die Folgen seines Tuns. Gesetze zum Schutz von Wasser und Luft stellen lebenswichtige Elemente unter einen wenn auch unvollkommenen Schutz. Der Boden jedoch droht auch weiterhin ein Stiefkind der Umweltpolitik zu bleiben. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum politischen Handeln ist das Erkennen der Gefahren. Mit „Boden in Not“ hat Günter Fellenberg einen ersten Schritt in die richtige Richtung vorgezeichnet. Andreas Sentker
Günter Fellenberg: „Boden in Not: vergiftet, verdichtet, verbraucht. Eine Lebensgrundlage wird zerstört“. Georg Thieme Verlag 1994, 180 Seiten, 39,80 DM
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