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■ LeserInnen zum Interview mit dem israelischen Botschafter Shimon SteinGegen besinnungslose Solidarität

betr.: „Eine antisemitische Kampagne“, taz vom 9. 2. 02

Dieses Interview, samt Monumentalfoto, macht in peinlicher Weise die anbiedernde und unreife Haltung Deutschlands gegenüber Israel deutlich. Die historische Schuld unserer Väter, für die auch unsere Generation weiter einsteht, darf nicht dazu missbraucht werden, uns ständig mit erhobenem Zeigefinger weiter in diese besinnungslose Solidarität zu treiben, mit jedem und allem, was Größenwahnsinn und Dummheit sich in Politikerhirnen ausdenken. Israel ist für sein Image in der Welt selbst verantwortlich, auch dafür, wie es das mit seiner Zahn-um-Kopf-Politik immer wieder selbst gründlich ruiniert. Wenn man Israel einen wirklichen Freundschaftsdienst erweisen will, muss man diese Regierung mit diesem tödlichen Omnipotenzgehabe konfrontieren – alles andere ist Heile-heile-Gänschen-Partnerschaft.

GERD BÜTTNER, Bielefeld

Shimon Stein macht die diplomatische Beziehung Israels zu Deutschland von der Erinnerung an den Holocaust abhängig. Deutscher Kritik an Israels jetziger Politik weicht er aus mit dem Hinweis auf „antisemitische Untertöne“, die Israels Existenz grundsätzlich in Frage stellten.

Ich empfinde mich nicht als antisemitisch, wenn ich simple Kriegsakte und deren Protagonisten benenne und zutiefst verabscheue. Aufgrund der deutschen Vergangenheit fühle ich mich zur Kritik an Israels jetziger Politik eher verpflichtet.

CHRISTOPH HALBEY, Mainz

Die antiisraelischen (nicht antisemitischen, Herr Stein!) Ressentiments in der gesamten (nicht nur islamischen) Welt, verursacht die Politik Scharons doch selbst. […] Wir erfahren viel über den verurteilenswerten palästinensischen Terror, wir erfahren aber zu wenig über den Terror der jüdischen Ultras, die besonders in den Reihen der Siedler zu finden sind und von der israelischen Staatsmacht unterstützt werden. Diese gefährlichen Extremisten, an ihrer Spitze Ariel Scharon, agieren ja nicht im luftleeren Raum! Israel gefährdet seine Existenz auf Grund seiner rassistischen Politik letztlich selbst! BIRGIT SCHIEFKE, Hannover

Der Holocaust hat nicht nur für Deutschland und die Deutschen eine dauernde Lehre und Bedeutung bereit. Der Holocaust hat vor allen anderen für uns Juden eine ewige Tora-Weisung parat, und die lautet in den schlichten Worten des Rabbi Hillel: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

Was aber Israel mit und unter dem Schweigen fast seiner gesamten Eliten – Politiker, Rabbiner, Journalisten, Intellektuellen – in Israel und in der Diaspora den Palästinensern an Demütigung, Unterdrückung, Landraub, Vertreibung und der Welt insgesamt an Missachtung, nämlich vieler UN-Resolutionen, antut, das alles schreit schon seit Jahren zum Himmel! Und die Instanz, die Deutschland für den Holocaust zur Rechenschaft gezogen hat, dieselbe Instanz wird auch Israel zur Verantwortung ziehen. Denn wie heißt es beim Propheten Amos? „Nur euch – Israel – habe ich erkannt und erwählt vor allen Geschlechtern auf Erden; darum will ich auch an euch alle eure Missetaten vergelten.“ (Amos 3,2) […] MICHAEL D. DÜLLMANN, Bonn

Es ist zwar verständlich, dass Shimon Stein als Botschafter Israels die Politik seiner Regierung vertritt und rechtfertigt. Es ist auch verständlich, dass der israelische Botschafter den Palästinensern die Schuld an der Gewalt und dem Scheitern des Friedensprozesses gibt. Trotzdem sollte man einige seiner Äußerungen nicht unkommentiert stehen lassen.

Herrn Steins Thesen sind nicht neu. Fast jeder israelische Politiker skandiert sie, wenn es um die Rechtfertigung von Terrorakten gegen das palästinensische Volk und die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Palästinenser geht. „Die Araber würden das Existenzrecht Israels absprechen“, „sie wollen Israel liquidieren“ usw.

Dabei vergisst Herr Stein, oder vielleicht auch der „kritische“ taz-Journalist, zu erwähnen, dass weder Libanon noch Syrien oder gar das „mächtige“ Ägypten, ganz zu schweigen von den Palästinensern, Massenvernichtungswaffen besitzen, jedenfalls nicht die modernsten und effizientesten, sondern Israel. Nicht sie besetzten Teile des israelischen Gebietes, sondern die Israelis besetzten arabisches Gebiet.

Israelische Politiker missachten Menschenrechte und obendrein tut Scharon alles, um die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern, ja die Palästinenser mehr zu radikalisieren und jede Perspektive auf eine Besserung ihrer Lebensgrundlagen zu vernichten. Scharon lässt seine Bulldozer nicht nur Symbole der palästinensischen Autonomie zerstören, sondern auch Fabriken, Häuser und Plantagen.

Shimon Stein beklagt auch, dass die Araber nicht bereit seien, dem jüdischen Volks das Recht auf Selbstbestimmung zuzuerkennen. Dabei pflegt der israelische Staat jede Selbstbestimmungstendenz der Palästinenser im Keim zu ersticken.

Ich habe ein kritisches Nachhaken von Philip Gessler vermisst, als Shimon Stein von der zunehmenden Welle des Antisemitismus in den arabischen Ländern gesprochen hatte. Vielleicht hätte er wissen müssen, dass die Araber „rassisch“ gesehen ja auch Semiten sind und die Muslime genauso wie die Juden von Abraham abstammen. Somit ist der Protest nicht als antisemitisch einzuordnen, sondern in erster Linie als eine Ablehnung der Politik und der Praktiken des israelischen Staates.

Es scheint mir hier sehr schwierig, eine sachliche, offene, vorurteilslose und ohne mit Schuldgefühlen behaftete Diskussion über den Kern des Konfliktes zu führen. Über einen Konflikt, der zum größten Teil auf religiösen Mythen und Legenden basiert.

GHADA SAAD-HELLER, Dortmund

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