■ „Lesben und Schwule“ – ein unzutreffendes Wortpaar: Lesben sind keine „Homos“
Der Irrglaube, daß Lesben und Schwule zusammengehören, herrscht nicht nur in der taz: So durften zum Beispiel die Redakteurinnen einer bekannten Frauenmodezeitschrift – entgegen ihrer ursprünglichen Absicht – kein Lesbenheft machen, sondern mußten sich darauf beschränken, Lesben unter dem großen Thema „Homosexualität“ mitzuerwähnen. Es keine Gruppe von Frauen geben, die ganz ohne Männer auskommt. Lesben werden stets Schwulen zugeordnet – wenn schon nicht als deren „Frauen“, dann doch wenigstens als kleine Schwestern. So bleiben Frauen auch als Lesben Anhängsel von Männern, und das duale System, in dem jedem Männlein – wie in der Arche Noah – sein Weiblein zur Seite gestellt wird, behält seine „Ordnung“. Ich fühle mich durch die Wortkombination „Schwule und Lesben“ schon lange nicht mehr angesprochen. Ich gehe nicht mehr auf CSD-Demos, und es befremdet mich, wenn in gemischten Szene-Blättern, Artikel von oder über Lesben dicht neben der Kondom-Werbung erscheinen.
Adrienne Rich schrieb schon in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in ihrem Aufsatz „Zwangsheterosexualität und lesbische Existenz“, daß Lesben durch ihren Einschluß – als weibliche Version – in die männliche Homosexualität ihrer politischen Existenz beraubt werden. „Lesbische Existenz mit männlicher Homosexualität gleichzusetzen, weil alle beide gebrandmarkt sind, bedeutet, die weibliche Existenz ein weiteres Mal auszulöschen. Die Aussonderung [...] aus dem komplexen Kontinuum des weiblichen Widerstandes gegen die Versklavung der Frau und ihre Einfügung in ein männliches Muster ist eine Verfälschung unserer Geschichte.“
Sie hat recht. Die Gemeinsamkeit zwischen Lesben und Schwulen reduziert sich darauf, daß es sich beidemal um Personengruppen handelt, die sich sexuell dem eigenen Geschlecht zuwenden. Aber: Die sexuelle Orientierung ist nur ein Teilbereich lesbischer Identität, und die meisten von uns werden nicht gerne darauf reduziert. Die Unterschiede zwischen Lesben und Schwulen sind so zahlreich und so gravierend wie die Unterschiede zwischen Frauen und Männern: Der anonyme Sex, der Jugendkult, die Phallus-Fixiertheit und die mitunter unzureichende Distanz zur Pädophilie – sie sind mir bei Schwulen ebenso zuwider wie bei heterosexuellen Männern. Und in gemischten Zusammenhängen werden Lesben von Schwulen ebenso untergebuttert wie Frauen von heterosexuellen Männern. „Ihr kommt ja nicht“, sagen Schwule oder Heteros dann mit vordergründigem Bedauern und nehmen die von Frauen freigelassenen Plätze ungeniert ein. Im Falle der Homo-taz wäre es ehrlicher gewesen, sie von Homos für Homos schreiben zu lassen und ihr ein Jahr später – ich schlage vor zum nächsten Lesben- Frühlingstreffen 1995 in Hamburg – eine Lesben-taz folgen zu lassen.
Die gesellschaftliche Relevanz der Zuwendung zum eigenen Geschlecht ist bei Frauen eine völlig andere als bei Männern: Schwule werden diskriminiert, weil sie dem normativen sexuellen Verhalten des herrschenden Geschlechts, dem sie angehören, nicht entsprechen. Im Zuge der Liberalisierung hat sich die Chance von Schwulen auf Teilhabe an den Privilegien, die Männer innerhalb des Patriarchats haben, erheblich gebessert. Die Gleichstellungspolitik des SVD zielt sogar darauf ab, Schwulen diese Vorrechte zu sichern. Diese Option steht Lesben, da sie Frauen sind, aber von Anfang an nicht offen.
Lesben werden nicht hauptsächlich deswegen diskriminiert, weil sie „anders“ sind, sondern weil sie die Annahme der untergeordneten Rolle, die Frauen im Patriarchat zugedacht ist, verweigern. Kennzeichnend für die Situation von Lesben ist die Widerständigkeit der lesbischen Lebensweise innerhalb des Patriarchats: Zuwendung und Liebe von Frau zu Frau, unter Ausschluß von Männern, stellen den Machtanspruch von Männern gegen Frauen und damit die bestehende Gesellschaftsordnung in Frage. Der wesentliche Unterschied zwischen Lesben und Schwulen resultiert also aus der Zugehörigkeit zum herrschenden beziehungsweise zum untergeordneten Geschlecht. Es ist schon etwas anderes, ob Mann aus der Norm der eigenen Gruppe herausfällt oder ob Frau sich dem Machtanspruch der herrschenden Gruppe über die eigene entgegenstellt. Die Diskriminierung von Lesben ist fester Bestandteil der Unterdrückung von Frauen und Folge des Bestrebens, die jedwede Verfügbarkeit von Frauen für Männer zu erhalten. Insofern sind lesbische (und nichtlesbische) Frauen viel eher mit Schwarzen als mit Schwulen zu vergleichen: Schließlich geht es beim Rassismus, ebenso wie beim Sexismus, ursächlich um eine moralische Rechtfertiung für die Ausbeutung von Ressourcen: In dem einen Fall sind es die Arbeitskraft der Schwarzen und die Rohstoffe ihrer Länder, in dem anderen geht es um die kostenlose Arbeitskraft der Frauen und um die Verfügbarkeit ihrer Körper. Die lesbische Lebensweise ist im Grunde ein Konkurrenzunternehmen zum Patriarchat. Auch darin unterscheidet sich die gesellschaftliche Situation von Lesben und Schwulen: Während heterosexuell orientierte Frauen schwulen Männern im allgemeinen gleichgültig bis freundlich gegenüberstehen (weil Männer, die Frauen in Ruhe lassen, im alltäglichen Leben von allen Frauen als Entlastung empfunden werden), behandeln heterosexuelle Männer Lesben eben so, wie man Konkurrentinnen behandelt – Ignoranz und verzerrte Darstellung sind dabei ebenso wirksame Waffen wie die Aberkennung der Fähigkeit zur eigenständigen Existenz.
Die Gleichsetzung von Lesben mit Schwulen wird weder durch Lust noch durch Leid bestätigt. Lesben leben und lieben anders als Schwule, wobei beiseitige Ausnahmen diese Regel bestätigen. Selbstverständlich solidarisieren wir uns, wenn Schwule rechtsradikaler Gewalt ausgesetzt sind – aber wir solidarisieren uns mit ihnen nicht stärker als mit anderen Gruppen, die davon gleichfalls betroffen sind. Wir wissen auch, was Aids für sie bedeutet, aber viele von uns werden an frauenspezifischen Krankheiten sterben, die von der Gesundheitspolitik heute noch ebenso sträflich vernachlässigt werden wie einst Aids.
Lesben und Nichtlesben, Lesben und (heterosexuelle) Mütter, Türkinnen, Sekretärinnen – alle haben mehr gemeinsam als „Lesben und Schwule“. Jutta Oesterle-Schwerin
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