Lernen im Vorschulalter: Sprachschallmauer überwinden
Experten fordern Sprachförderung für alle im Kindergarten statt aufwendiger Tests.
Melissa ist wissbegierig. "Sie saugt Neues auf wie ein Schwamm", berichtet ihre Erzieherin. Aber: Die Fünfjährige hat nur geringe Chancen auf eine erfolgreiche Schulkarriere. Das polnischsprachige Mädchen besucht seit zwei Monaten erstmals einen Kindergarten. "Wer bei der Einschulung Sprachdefizite hat, steht vor einer Mauer, die er kaum noch überwinden kann", sagt der Spandauer Kinderarzt Ulrich Fegeler. Er fordert daher, das Geld für aufwendige Tests in die Frühförderung zu stecken, und eine Kitapflicht für alle Kinder ab drei Jahren.
Fegeler, auch Sprecher des Bundesverbandes der Kinderärzte, ist einer von 350 Profis, die sich am Mittwoch zu einer Fachtagung im Rathaus Schöneberg trafen. Angesichts der steigenden Zahl von Kindern, die Probleme haben, sich Deutsch anzueignen, fragten sich die Experten, wie Sprachförderung in der Kita aussehen sollte.
Die Lage ist seit Jahren fast unverändert: Auch beim aktuellen Sprachstandstest Deutsch Plus fiel jedes vierte Vorschulkind durch; von Kindern, die keine Kita besuchen, muss sogar jedes zweite zum Deutschnachholkurs. Die Defizite der Kinder sind nicht krankhaft - sie sind gesellschaftlich bedingt. Betroffen sind vor allem Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien.
In den Bildungseinrichtungen, wie die Kitas heißen, sollen solche Nachteile ausgeglichen werden. "Doch wir sind zu langsam, und es passiert noch zu wenig", meint die Schöneberger Jugendstadträtin Angelika Schöttler (SPD). Ein Problem: Die Erzieherinnen, die im Durchschnitt älter als 50 Jahre sind, müssen sich der Sprachförderung Einzelner widmen und gleichzeitig die Gruppe beschäftigen. Ein weiteres Problem: Viele sind nicht für Sprachförderung ausgebildet. "Mit dem, was Erzieherinnen gelernt haben, kann man heute sehr wenig anfangen", sagt der Schweizer Forscher Zvi Penner, der Erzieherinnen aus Tempelhof-Schöneberg gezielt für die Spracherwerbsförderung fortbildet. Die Erzieherinnen lernen, Rhythmus und Architektur der Sprache weiterzugeben. Einfach Märchen vorzulesen reiche nicht mehr aus.
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