Leitungsstruktur: Vom Intendanten befreit
Aus einem mach fünf: Ein Fünfergremium soll vorerst die Geschicke des Bremer Theater lenken. Das hat nun seine Pläne vorgestellt - und allerlei Abkehr vom arg marketingorientierten Kurs des letzten Generalintendanten Hans-Joachim Frey.
Große Tanker, so nennt der kulturpolitische Jargon gern die städtischen Viersparten-Häuser. Und so gesehen strampeln auf der Bühne des Bremer Goetheplatz-Theaters fünf Schiffbrüchige und versuchen über Wasser zu bleiben. Bloß sieht das gar nicht so aus.
Es wirkt eher wie eine stinknormale Pressekonferenz, bei der eine Reihe von Leuten mit Namensschildchen an einem langen Tisch sitzt: Hans-Georg Wegner für die Oper, Marcel Klett fürs Schauspiel, Tanz: Patricia Stöckemann, Jugend: Rebecca Hohmann, den künstlerischen Betriebsdirektor Martin Wiebcker haben sie in die Mitte genommen, und ganz links am Rand sitzt - wie eine gütige Gouvernante - Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD), das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt. Keinen Auftritt hat hingegen Hans-Joachim Frey.
Das ist ein Name, den man sich merken muss - weils klug ist, aus anderer Leute Fehlern zu lernen. Frey war nämlich hier Generalintendant. Mittlerweile hat man ihn zum Seebühnenkapitän degradiert - nicht, um ihn extra zu demütigen, sondern auf seinen eigenen Wunsch. Er wollte den Rauswurf vermeiden: Nun darf er einmal jährlich eine konzertante Oper auf einem Ponton in der Weser zu produzieren. Der liegt am ehemaligen Vulkan-Werft-Gelände, wo die Landespolitik in einen Indoor-Freizeitpark investierte, der sensationell floppte. Und wo heute eine Shopping-Mall auf Kunden lauert.
Es fällt erschreckend leicht, sich von Frey abzusetzen: Ganz unbefangen lobt der Intendant der Philharmoniker, Christian Kötter-Lixfeld, die neue Gesprächsatmosphäre: "Wohltuend", nennt er sie, weil es nicht mehr "darum geht, wie aus einem Katalog etwas auszusuchen", sondern "zu analysieren, was Bremen ausmacht". Das Team, das die Theaterleitung innehat, nennt die Premieren: acht Opern, zwölfmal Schauspiel, viermal Tanz und viermal Jugendtheater plus drei Produktionen der NachwuchsschauspielerInnen von den Jungen Akteuren. Böse Worte sparen sie sich auf, es gibt nur ein paar Spitzen. Etwa wenn Klett mit Blick aufs Schauspielhaus sagt: "Wir bauen den Umbau wieder zurück." Das ist erst mal ganz wörtlich zu verstehen, die Bühne wird dort wieder vergrößert. Aber eben auch strukturell: Man schwenkt wieder auf Repertoirebetrieb um. Und: "Wir haben festgestellt", sagt Klett, "dass eine wesentliche Hürde, das Theater zu besuchen, bei Jugendlichen der Ticket-Preis ist." Den hat man daher deutlich reduziert, und man will ein Paten-Programm auflegen, "Klassen-los" solls heißen. Die Idee ist simpel: Reichere ZuschauerInnen sollen Schulklassen in finanzschwachen Stadteilen den Theaterbesuch durch Spenden ermöglichen. Zum Vergleich: Frey hatte zwei Jahre versucht, das Haus mittels Marketingdeutsch und konsequentem Namedropping zum Event-Tempel für Besserverdienende umzumodeln.
"Wir wollen", sagt nun Opern-Dramaturg Wegner unter Vermeidung selbst durchgesetzter Anglizismen, "dass unsere Besucher hier nicht nur Erlebnisse konsumieren." Das Ziel müsse sein, "dass sie hier etwas erfahren, was mit ihnen zu tun hat".
Das ist keine Revolution. Das ist eine Binsenwahrheit, wenns darum geht, zu beschreiben, wie gutes Theater gelingen kann. Und doch ists hier und jetzt ein Befreiungsschlag. Denn der Ex-Intendant hatte beim Amtsantritt viel von Synergien mit der Wirtschaft schwadroniert, vom Reiz, sich um eine unterfinanzierte Bühne kümmern zu dürfen - und von seiner eigenen Begabung, Theater aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zu durchleuchten. Binnen zwei Spielzeiten hatte er die Bühnen auf strikten Insolvenz-Kurs gebracht. Vor allem die künstlerisch sinnlose, kaufmännisch aberwitzige Produktion des Musicals "Marie-Antoinette" sorgte für Vortrieb: Sie hatte vergangenes Frühjahr ein Defizit von 2,5 Millionen verursacht - ein Zehntel des gesamten Theater-Etats.
Seitdem sucht die Kulturverwaltung einen Nachfolger, ergebnislos und mit den üblichen Begleitgeräuschen: 24 Millionen Euro für ein Vierspartenhaus, das ist nicht sehr attraktiv. Im Sommer wollte man einen neuen Generalintendanten präsentieren. Nun lobt die Kulturstaatsrätin den Spielplan für die kommende Saison und gibt bekannt, dass auch die folgende vom Team geplant wird. Aber einen Chef wird man brauchen, heißts, "jemand, der das Theater nach außen repräsentiert", so Emigholz, "eine Persönlichkeit" - eine Art König. Da ist man sich einig im Kollegialorgan des Senats.
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