Leistungskürzungen bei Geflüchteten: Klatsche für die Ampel
Weniger Geld für Geflüchtete in Sammelunterkünften ist rechtswidrig – ein Anlass, das Menschenbild, das hinter der Praxis stand, zu hinterfragen.
S ie hatten viel vor: Für die Migrations- und Integrationspolitik kündigte die Ampel einen „Neuanfang“ gleich einem „Paradigmenwechsel“ an. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Leistungskürzung von alleinstehenden und alleinerziehenden Geflüchteten, die in einer Sammelunterkunft wohnen, für rechtswidrig erklärt, ist eine juristische Klatsche für die Bundesregierung, die das Versprechen eines grundlegenden Umbruchs im Umgang mit Newcomern bislang kaum eingelöst hat.
Zwar wurde die Regelung 2019 von Union und SPD eingeführt. Trotzdem fand diese Ungleichbehandlung von Asylsuchenden unter der selbsternannte Zukunftskoalition weiterhin Anwendung.
Denn ein Paradigma äußert sich nicht nur in einem einzelnen Gesetzestext: Es drückt ein Menschenbild aus, das politische Entscheidungen leitet. Aufgabe der Ampelkoalition wäre es also, grundlegende Annahmen über Geflüchtete zu hinterfragen, die die deutsche Asylpolitik seit Jahrzehnten dominieren. Wie jene, Menschen, die auf ihrem Weg nach Deutschland meist alles stehen und liegen lassen mussten, weniger Recht auf eine humane finanzielle Unterstützung haben, nur weil sie bislang noch nicht in die deutsche Steuerkasse eingezahlt haben.
Denn durch die Einführung des Bürgergelds bekommen alleinstehende „bedürftige oder erwerbsunfähige“ Menschen künftig monatlich 502 Euro ausgezahlt – nach der neuen Rechtsprechung stehen allen Asylbewerber:innen nun 367 Euro zur Verfügung. Einige ukrainische Geflüchtete bilden hierbei eine Ausnahme – was darauf hinweist, dass es Reformpotenzial gibt.
Ein Paradigmenwechsel würde sich von einer Migrationspolitik abwenden, die vieles darauf setzt, das Leben der Newcomer:innen so schwer zu gestalten, dass sie besser gar nicht erst nach Deutschland kommen, und wenn doch, gefälligst sparsam leben, indem sie in Sammelunterkünften zusammen kochen. Doch davon, das hat dieses Urteil gezeigt, ist die Ampelregierung noch weit entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion