Leipziger streiten über kitschiges Wende-Denkmal: Erinnerung polieren
Leipzigs Oberbürgermeister Jung lässt ein Wende-Denkmal aufstellen, dass viele Leipziger als Kitsch empfinden. Für Kritiker ein weiterer Beleg für Jungs kulturpolitische Unfähigkeit.
Bevor im Herbst 1989 in Berlin die ersten Leute auf die Straße gingen, demonstrierten in Leipzig bereits Tausende die Wende herbei. Neunzehn Jahre später ist die sächsische Stadt wieder schneller: Während in Berlin noch über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal gestritten wird, soll in Leipzig schon bald ein Bronzerelief an die Wende erinnern - ohne lästige Diskussionen. Denn Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nahm das Geschenk einer 8 x 2,5 Meter messenden Großplastik der amerikanischen Bildhauerin Miley Tucker-Frost und ihrer Sponsoren quasi im Alleingang an. Aufgestellt werden soll das Denkmal mit Szenen der Leipziger Montagsdemos vor der ehemaligen Stasi-Zentrale. Dass die gewählten Gremien bei der Entscheidung komplett außen vor blieben, bemängelte Presse und Öffentlichkeit ebenso wie die künstlerische Qualität des Entwurfs. Denn Tucker-Frosts Modell sieht eine naturalistische Bildsprache vor, für die Kritiker nur ein Wort kennen: "Kitsch".
Auf Tucker-Frosts Webseite (www.mileyfrost.com) sieht man einen Adler, knuddelige Elefanten etc. Ihre Themen bezeichnet sie als "patriotisch, klassisch, religiös" - Arbeiten von ihr sind zwar in keinem Kunstmuseum vertreten, schafften es aber in Ronald Reagans Präsidentenbibliothek. In ihrem Entwurf fürs Wenderelief hält eine Menschengruppe Kerzen in den Händen. Die Bildhauerin wünscht sich, dass die Leipziger später "mit ihren Taschentüchern die Flammen polieren". Die Mitglieder der Initiative 9. Oktober begrüßen das Geschenk, sehen es aber nicht als das Denkmal der friedlichen Revolution.
Kritiker von Jung erkennen in der Posse einen weiteren Beleg seiner kulturpolitischen Unfähigkeit. Erst kürzlich versäumte er es bei der Bestellung von Peter Konwitschny zum Chefregisseur der Leipziger Oper, deren Generalmusikdirektor Riccardo Chailly in die Entscheidung einzubeziehen. Und vor ein paar Tagen servierte Jung den Konstanzer Theaterintendanten Christoph Nix und die Berliner Kulturpolitikerin Alice Ströver als Kandidaten für die Nachfolge des scheidenden Leipziger Kulturbürgermeisters Girardet als ungeeignet ab, nachdem er in einem peinlichen Doppelspiel beide jeweils vertraulich aufgefordert hatte, sich um den Posten zu bewerben.
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