Leipziger Rapper HeXer auf Tour: Das Räuspern des Chorknaben
Er ist ein HipHop-Lokalheld mit bundesweitem Punch. Der Battlerapper HeXer bringt Leipzig auf die Landkarte und ist gerade auf Tour.
Manches kann man sich nicht aussuchen. Seine Nachbarschaft etwa: Inmitten des mittlerweile fast vollständig braun wählenden Bundeslandes Sachsen wirkt Leipzig zumindest in Teilen mittlerweile wie ein linksgrüner Fremdkörper. Befremdlich ist auch, wie selten die Großstadt popkulturell in Erscheinung tritt. Während es gute Songs über Hamburg, Berlin und sogar Chemnitz gibt, hat die Messestadt abseits vom lebendigen Untergrund wenig vorzuweisen. Im Sommer 2021 versuchte die Rapperin salomé das mit ihrem Track „Sommer in LE“ zu ändern, funktioniert hat es nicht.
Als Lokalheld konnte das der Rapper Franz Martens alias HeXer schwer ertragen. Und als ehemaliger Battlerapper wusste er, wie es zu kontern ist: Seine Replik „Sommer in LE“ strotzt vor Wärme, Bodenständigkeit und unbemühter Coolness, hat mit der leichtfüßigen Hook Ohrwurmpotenzial. Der Song machte ihn über die Stadt und über die Szene hinaus bekannt. Mit über sieben Millionen Streams ist der Track gegenwärtig wohl der meistgehörte Song mit Leipzig-Bezug.
Drei Jahre später steht die erste Headliner-Tour an: Es ist ganz schön stickig im Backstage des Leipziger Clubs Conne Island, viele Freunde und Bekannte sind schon da, Joints glimmen im schummrigen Licht. In Bälde wird HeXer auf der Bühne stehen.
Aber es gibt ein Problem. „Was’ mit deiner Stimme los?“, so fragen alle, die das leichte Kratzen in dem sonst so sonoren Klang hören. Er hat da eine Theorie, der Vorabend soll eine Rolle gespielt haben. Aber das viele Erklären macht’s nicht besser, die Joints auch nicht unbedingt, Halstabletten hingegen womöglich schon. „Vielleicht erst mal nur ’ne halbe“, scherzt ein Kumpel, als würde es um chemische Drogen gehen.
Live: 21. 3., Nachtleben, Frankfurt/Main, 22. 3., Backstage, München, 29. 3., Bahnhof Pauli, Hamburg
Jede Silbe sitzt
In Leipzig ist HeXer spätestens seit „Sommer in LE“ eine Hausnummer. Der DJ und Produzent Andre Mattick alias DJ Eule erkannte sein Talent schon 2019, als Martens noch mit Hexer-Maske bei Rap-Battles antrat. Mattick nahm den damals 19-Jährigen bei seinem Label Arjuna unter Vertrag und begleitet ihn seitdem als DJ.
Trotz Stimmschräglage sitzt später im gut gefüllten Conne Island jede Silbe. Das Publikum hilft lautstark mit, besonders bei den Tracks mit Leipzig-Bezug. Und das sind einige: „Und es geht: Deutschland, Sachsen, Leipzig, Westplatz, stehe auf 13 Uhr 12, in Connewitz drüben Gestein und Geröll, doch ich kann es versteh’n bei ’ner Weidel und Björn“, heißt es etwa im Text der neueren Single „Jeden Tag“.
Obwohl die Antifa-Botschaft darin nur kurz und bündig zum Ausdruck kommt, hat der Track kurz vor der Bundestagswahl Aufsehen erregt. „Das ist schnell in rechten Kreisen gelandet“, sagt HeXer und holt zum Beweis sein Handy raus. Unter seinem Video finden sich zahlreiche rechte Kommentare und Symbole. „Aber dann dachte ich mir: Manchmal muss man das machen. Ich habe eine linke Einstellung zum Leben und zur Politik, und dazu stehe ich, auch wenn es in meinen Songs nicht ständig um Nazis geht.“
Botschaft gegen negative Gedankenspiralen
In der Tat sind die Themen, die HeXer in seinen Tracks bearbeitet, vielseitig: „Abfucks“, live unüberhörbar ein Publikumsliebling, kommt mit einem düsteren Trap-Beat daher, kommuniziert aber eine geradezu liebevolle Botschaft gegen negative Gedankenspiralen: „Ja, wir seh’n, wie’s dir geht / Wir verstehen deinen Frust / doch geteiltes Leid ist halbes / Also rede mit uns.“
In „Rich Kid“ geht es um seine Herkunft. HeXer versucht erst gar nicht, sich ein Gangsta-Image anzudichten, macht aber auch klar, dass es als Sohn eines selbstständigen Fotografen finanziell bei ihm keinesfalls immer rosig zuging: „Auf ’ner Schule mit dem Spitznamen ‚Eliteschule‘ / Doch zu Hause geht’s um Miete/ Immer wieder Schulden.“
Als Kind besuchte Franz Martens die berühmte Leipziger Thomasschule, „bezahlt vom Staat“, wie er rappt. Er erhielt eine klassische Gesangsausbildung, ging mit dem Thomanerchor auf Welttournee. Eine Erinnerung an diese Zeit findet sich auch im Track „Chorgesang“, in dem auch eine bekannte Zeile der Leipziger A-cappella-Band Die Prinzen – ebenfalls ehemalige Thomaner – persifliert wird.
Mit 14 verlässt er das Internat, das für seinen Leistungsdruck und seine Disziplinarpädagogik bekannt ist. Spuren der musikalischen Ausbildung finden sich aber auf fast jedem Track, etwa, wenn die Hooks ein klein wenig mehr Melodik aufweisen, als das im Genre üblich ist, oder wenn der ein oder andere Reim eine sauber abgezählte Metrik durchscheinen lässt, die HeXer live mühelos hält.
Eine Woche nach der Show in Leipzig steht er in Berlin auf der Bühne. Die Stimme ist wieder da, die Joints auch. Man könnte annehmen, dass das Publikum hier mit Leipzig-Hymnen nicht so leicht abzuholen ist – weit gefehlt: „341“, ein Duett mit dem Rapper AzudemSK und der Leipziger Festnetz-Vorwahl im Titel, funktioniert selbst in der Hauptstadt: „Ich mache den Scheiß für Leipzig und das bleibt immer so“, heißt es da. Das bleibt zu hoffen, denn dass diese Stadt nun ein solches Talent vorweisen kann, hat sie verdient.
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