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■ Leipziger NPD-Demo: Heftige Kritik am Verhalten der GerichteStarker Staat gewünscht

Im Schatten des rechten Aufmarsches am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig vollzieht sich in diesen Tagen etwas, das zumindest ebensolche Beklemmung verursachen sollte wie die NPD-Kundgebung selbst.

Im Verbund mit der Polizei versuchte die Stadt Leipzig nicht nur die NPD-Demonstration, sondern auch die Gegenveranstaltungen wegen eines „polizeilichen Notstandes“ verbieten zu lassen. Nun wird an den Richtern, die solch abenteuerlicher Argumentation zu Recht nicht folgten, Kritik geübt. Ohne Zweifel sind die Motive dieser Kritiker meist honorig. Gleichwohl offenbaren sie neben ihrer eigenen Hilflosigkeit gegenüber dem Rechtsextremismus zugleich ein merkwürdiges, weil taktisches Demokratieverständnis. In ihrer Erregung scheint ihnen egal, daß die NPD eine zugelassene Partei ist, für sie demnach die gleichen Rechte zu gelten haben wie für alle anderen Parteien auch. Das verbriefte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist nicht teilbar, je nachdem, ob einem die propagierten Inhalte passen oder nicht.

Wer anders argumentiert, hat den Kampf um die Köpfe schon aufgegeben. Aber ist dieser Rückzug nicht längst angetreten? Zum Beispiel nach dem sensationellen Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt, als deren größte Wählergruppe, die Jung- und Erstwähler, umstandslos und unisono zu Protestwählern erklärt wurden. Hat es die seit Jahren anhaltenden Überfälle just solcher Wähler auf Andersaussehende und Andersdenkende nicht gegeben? Für Helmut Kohl handelt es sich lediglich um eine Welle, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik immer mal gibt. Rechtes Gedankengut als Naturereignis. Bei Kohl wundert dies nicht.

Die Kritiker der Richterentscheidung sollten es ihm nicht nachtun. Der Kampf um die Köpfe muß in der aktiven politischen Auseinandersetzung geführt werden. Verbote und Ausgrenzung sind dabei möglicherweise bequeme, aber untaugliche Mittel. Gedankengut läßt sich nicht verbieten. „Ausländer raus“ und „Nazis raus“ klingt ansonsten verdammt ähnlich, auch wenn es anders gemeint ist. Die Mobilisierung der rechtsradikalen Szene ist noch keine Sturmflut, gegen die es kein Halten mehr gäbe. Statt in hysterischer Panik selbst die Fundamente der Demokratie zu lockern, sind sie zu festigen. Diese Arbeit beginnt im eigenen Kopf. Zum Beispiel mit der Erkenntnis, daß man die Verteidigung der Demokratie nicht so einfach an den Staat delegieren kann. Wer vorschnell nach Verboten ruft, arbeitet mit den Gegnern beim Demokratieabbau Hand in Hand. Otto Diederichs

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