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Archiv-Artikel

Leid gehört zum Leben

AUS BRATISLAVA SABINE HERRE

Vor dem Tor der Klosters von St. Elisabeth versammeln sich jeden Mittag ein paar Bettlerinnen. Sie klingeln an der Pforte und bitten über die Gegensprechanlage um ein warmes Essen. Von den Schwestern wird ihnen Suppe und Brot auf die Straße gereicht. Dann schließt sich die Klosterpforte wieder.

Die kleine Gruppe der Bettlerinnen ist das Einzige, was darauf hinweist, dass sich hier in der Spitalská, der mittelalterlichen Spitalgasse von Bratislava, ein Kloster befindet. Seine weißen Mauern sind schlicht und fast schmucklos. Der barocke Turm der Klosterkirche wurde zwar gerade frisch renoviert, doch kämpft er mit seiner Zwiebelhaube vergeblich gegen den vierzehnstöckigen Stahlbetonbau des Hotels Kiew. Dieses wurde in den Siebzigerjahren direkt gegenüber errichtet. Die modernen Architekten der Slowakei haben auf die historische Struktur ihrer Hauptstadt nie besonders viel Rücksicht genommen.

Auch wenn sich die Klosterpforte öffnet und man in die hellen, modernen Räume von St. Elisabeth tritt, findet sich wenig von all dem, was man von einem Kloster erwartet, das mehr als 250 Jahre alt ist. Es gibt keinen Kreuzgang, den die Schwestern für Gespräche und Meditation nutzen könnten. Keinen Kapitelsaal, kein prächtiges Refektorium, keine historische Klosterküche. Stattdessen riecht es ein bisschen nach Medizin. Denn die Schwestern von St. Elisabeth betreiben das wohl modernste Krankenhaus für die Behandlung von Krebskranken in der gesamten Slowakei.

Dieses Krankenhaus ist der ganze Stolz von Schwester Alexandra. Die ehemalige Vorsteherin des Klosters hat die 75 überschritten, doch das Alter ist der zierlichen Frau, deren Gesicht fast gänzlich vom Schleier bedeckt wird, nicht anzusehen. Mit 18 Jahren, im letzten Kriegsjahr 1945, trat sie in den Orden ein. „Eigentlich sollte ich studieren, und ich habe auch gern getanzt und gesungen“, erzählt sie. „Doch dann sah ich die Studenten und verstand den Sinn ihres Tuns nicht.“

In einer katholischen Zeitschrift entdeckte Alexandra schließlich einen Artikel über den Orden der heiligen Elisabeth von Thüringen. Die Tochter des ungarischen Königs Andreas II. begann schon als Kind sich um Arme und Kranke zu sorgen, mit 20 Jahren gründete sie um 1228 in Marburg ein Krankenhaus, und daher ist die Krankenpflege die wichtigste Aufgabe aller Elisabeth-Klöster. Die Nonnen haben in der Regel eine medizinische Ausbildung, nicht etwa nur als Krankenschwester, sondern auch als Pharmazeutin oder Laborantin. Hier in Bratislava studieren einige an der Universität Medizin. Mit ihrem braunen Habit sehen sie aus wie junge weibliche Nachfolger des heiligen Franz von Assisi.

Mit Protesten ihrer Familie gegen den Eintritt ins Kloster musste Schwester Alexandra 1945 nicht rechnen. Protest kam erst 1950, als die Kommunisten sich daran machten, die Klöster des Landes zu liquidieren. „Meine Eltern hatten Angst, dass ich nach Russland deportiert werde, und daher schickten sie meinen Bruder und meinen Schwager, um mich nach Hause zu holen.“ Alexandra weigerte sich und wurde tatsächlich deportiert. Mit zwei Bussen wurden die Schwestern aufs Land gefahren, wo die Parteiführung sie zwang, in einer LPG zu arbeiten. Ob Alexandra damals nicht daran gedacht habe, aus dem Orden auszutreten? „Nein, nie. Leid gehört zum Leben dazu.“

1968, während der Liberalisierung des Prager Frühlings konnten einige Nonnen nach in die Hauptstadt zurückkehren. Der Staat brauchte sie für die Arbeit im Krankenhaus, einen Platz zum Wohnen wollte er ihnen freilich nicht anbieten. „Wir mussten auf dem Boden schlafen, zusammen in einem Zimmer“, erzählt Schwester Alexandra.

Alles änderte sich mit dem Ende der kommunistischen Ära. 1991 erhielten der Orden sein früheres Eigentum, Kirche, Kloster und Krankenhaus, zurück. Das bedeutete aber nicht, dass die Schwestern nun frei darüber verfügen konnten. „Die Vertreter des Staates schrieben uns genau vor, was wir wie zu renovieren hatten, bezahlen durften wir.“ Tatsächlich gelten Bauwerke mit historischem Wert in der Slowakei als „nationales Kulturgut“, und da darf dann die ganze Nation – sprich der Beamtenapparat – mitreden, was damit geschieht. Ihren härtesten Kampf focht die Oberin mit dem Staatlichen Museum aus. Denn dorthin hatte man nach Auflösung des Klosters 1950 die über 200 Jahre alte Klosterapotheke gebracht. Und wollte diese nicht zurückgeben. Stundenlang verhandelte Schwester Alexandra am Telefon und setzte sich durch. Heute sind die Apotheke und ihre unzähligen mit Heiligenbildern bemalten Kräuterdosen die wichtigsten Sehenswürdigkeit von St. Elisabeth.

Doch der Orden betreibt auch eine moderne Apotheke und in dieser laufen die Geschäfte bestens. Ganz so, als müsse nicht auch in der Slowakei im Gesundheitswesen gespart werden. „Ja, natürlich macht die Gesundheitsreform uns Probleme. Doch wir haben einen ausgezeichneten Direktor. Er bringt die Krankenkassen dazu, die Qualität unserer Leistungen zu erhalten.“ Schwester Alexandra verfolgt die Drehungen und Wendungen der slowakischen Nachwendepolitik intensiv. Und das ist für die Nonnen in der Slowakei eher ungewöhnlich. Nicht selten gibt es in den Klöstern kein Fernsehen und Radio, die Vorsteherinnen sehen Besucher nur ungern. In der Ostslowakei soll, so erzählt man sich, eine Mutter Oberin abgelehnt haben, dem höchsten Abt des Ordens die Pforte zu öffnen, weil er ein Mann war.

Bei den 28 Schwestern von St. Elisabeth ist das ganz anders. Fast scheint es, als stehe mehr die Arbeit und nicht so sehr das Gebet und das Leben im Orden im Mittelpunkt. Oder ist die Arbeit Gebet und Gottesdienst, wie es in einer alten Beschreibung des Elisabeth-Ordens heißt? Gemeinsam feiern die Nonnen um sechs Uhr morgens die heilige Messe, dann geht jede ihren individuellen Pflichten nach. Selbst ein gemeinsames Mittagessen, das alle 28 um einen Tisch versammelt, findet nur selten statt. Die einen haben Dienst, die anderen sind in der Uni. Außerdem bilden die Schwestern unter den Angestellten des Krankenhauses nur eine Minderheit. St. Elisabeth ist für slowakische Mediziner ein begehrter Arbeitsplatz und das nicht nur weil die Ausstattung mit medizinischen Geräten aus den USA besonders gut ist. „Die Atmosphäre ist hier viel freundlicher als in anderen Krankenhäusern“, sagt ein junger Arzt. Andere arbeiten bereits seit vierzig Jahren hier – und so entstand eine ganz eigene Form der klösterlichen Gemeinschaft. Schwester Alexandra: „Wir sind natürlich für den Fortschritt der Medizin, aber das ist nicht alles. Gerade heute sollte man die Worte „ich habe sonst niemanden“ nicht überhören. Das ist die eigentliche Herausforderung für uns.“ Und was bedeutet für die ehemalige Oberin von St. Elisabeth nun der Beitritt der Slowakei in die EU? Vor allem Sicherheit vor neuen Übergriffen auf ihr Kloster. Aber auch Freiheit. Denn bei einem Besuch in Italien, in Rom, werden die Grenzbeamten nun wohl nicht mehr voll Unverständnis auf den Pass eines ihnen unbekannten Landes schauen. Und vielleicht lässt sich das eine oder andere medizinische Gerät bald ja noch einfacher importieren.