Leichenschau: Das Kabinett des Plastinators
Nach 15 Jahren auf Welt-Tournee machen die "Körperwelten" des Gunther von Hagens jetzt auch in Bremen halt. Tote werden hier allerdings schon sehr viel länger ausgestellt, und zwar von der evangelischen Kirche
In Bremen haben sie Erfahrung mit öffentlicher Leichenbeschau. Lange, sehr lange bevor jüngst Gunther von Hagens "Körperwelten" in die Stadt kamen. Seit mehr als 25 Jahren sind Mumifizierte hier öffentlich ausgestellt. In der Ostkrypta des Doms. Schon Anfang des 18. Jahrhunderts, wenige Jahre nach Entdeckung, wird davon von zahlreichen BesucherInnen berichtet. Das Buch eines gewissen Eduard Beurmann von 1836 würdigt den "Bleikeller", wie die Bremer ihn nennen, gar als "Celebrität". Sechs Tote ruhen dort im gläsernen Sarg, sie sind auf natürliche Weise ausgetrocknet. Grau, fast schwarz, den Augenblick des Todes noch in den leeren Augenhöhlen tragend. Ein "gottesjämmerlicher", wie Beurmann schreibt, ein "wirklich ekelerregender Anblick". Auch Bremens oberster evangelischer Theologe Renke Brahms findet das Zur-Schau-Stellen toter Menschen "unmoralisch". Und meint die "Körperwelten".
Doch während die Domgemeinde ihre Ausstellung vor allem als eine der "kuriosesten Sehenswürdigkeiten" Bremens preist, kommen die Plastinate des Gunther von Hagens stets im Duktus der Aufklärung daher. Und in der Tat, auch seine aktuelle Schau, die sich schwerpunktmäßig dem Herzen widmet, präsentiert sich im guten Sinne mit populärwissenschaftlicher Information, erklärt also beispielsweise anschaulich das Netzwerk von Venen, Arterien und Kapillaren, illustriert auf einen Blick, was "Morbus Bechterew" genau ist und wie ein künstliches Kniegelenk aussieht. Auch der pädagogische Klassiker, die fast tiefschwarze Raucherlunge, er fehlt nicht in den Bremer "Körperwelten". Auch nicht der Hinweis des Plastinators selbst auf die Erfolge dieses Ausstellungsstücks bei einzelnen RaucherInnen.
Und doch: Natürlich lebt "Eine Herzenssache" vom Flair der Echtheit, vom Wissen darum, dass die Herzen einst in Lebenden geschlagen haben. Und 63 Prozent der BesucherInnen geben in Umfragen an, dass die Authentizität der Präparate "wesentlichen Einfluss" auf ihren Erkenntnisgewinn habe. Doch warum? All das ließe sich sicherlich mit ebenso modernen Methoden auch artifiziell herstellen, ganz ohne Verlust an Erkenntniswert. Doch ob sich damit in den 15 Jahren, in denen die "Körperwelten" um die Welt touren, auch 30 Millionen zahlende BesucherInnen hätten gewinnen lassen, allein sechs Millionen in Deutschland? Wohl kaum.
150.000 Menschen erwartet die kleine Schau in Bremen, gut 2.000 schon kamen in den ersten Tagen. Manche unter ihnen waren anfangs "skeptisch", schreiben sie im Gästebuch - und waren hernach doch "begeistert" oder wenigstens "beeindruckt". Ein anderer schreibt: "Man muss sich sehr bewusst machen, dass jedes Plastinat einem Menschen gehörte." Vielleicht nicht bei der "Liegenden Schwangeren" von 1999, deren Bauchdecke geöffnet ist, den Blick auf das im achten Monat Ungeborene freigebend. Aber vielleicht beim "Schiffsjungen" von 2009, dem ersten beweglichen Plastinat. Er klettert eine Strickleiter empor, Skelett und Muskelstränge sind zu sehen, der Unterkiefer fehlt. Wer er zu Lebzeiten war, darüber sagt die Ausstellung traditionell nichts. Die Plastinate sind anonym. Sicher ist nur: Niemand darf ungestraft öffentlich behaupten, dass "Körperwelten" Leichen von chinesischen Hinrichtungsopfern zeigt. Und es darf auch niemand sagen, von Hagens, der Liebchen hieß, bevor er den Namen seiner ersten Frau annahm, habe Schmiergelder gezahlt, um der kirgisischen Justiz zu entgehen. All diese Vorwürfe sind "haltlos", sagen die Ausstellungsmacher. Es gibt dafür "keine Grundlage", sagt auch Dirk Pleiter, China-Experte bei Amnesty International. Sicher ist nur: Der Plastinator ist rege in China tätig. Sicher ist auch: China ist, wenn es um seine Hinrichtungsopfer geht, "alles andere als transparent", so Pleiter.
Gut 30 so genannte Ganzkörperplastinate zeigen die "Körperwelten" in Bremen. Der Rest gleicht im Prinzip vielfach dem, was Ärzte auch in ihren Praxen stehen oder liegen haben und was Institutionen wie etwa das Deutsche Hygiene-Museum schon seit Jahr und Tag zeigen. Wenn auch mit weniger kommerziellem Erfolg. Ohnehin steigt der Erkenntniswert nicht mit der Zahl der Plastinate - nur das Wissen um die kunsthandwerklichen Fähigkeiten des Plastinators, der sich sogar bei dieser Arbeit nicht von seinem ewigen schwarzen Filzhut trennen mag. Bremen kennt er: Hier hat er einst Narkosearzt gelernt.
Immerhin: Auf plastinierten Sex als Effekthascher verzichtet von Hagens in Bremen. Statt dessen zeigt er die dreiköpfige "Pokerrunde", eine Szene aus dem James Bond Film "Casino Royale", wie dem wenig dezenten Plakat im Hintergrund zu entnehmen ist. Es fällt umso mehr auf, als die ganz in schwarz gehaltene Ausstellung sonst betont nüchtern auftritt, sieht man einmal von überdimensionierten mit Zitaten garnierten Fotos in Weichzeichneroptik ab. Und abgesehen davon, dass die Pokerrunde von 2006 von Hagens nochmal die Gelegenheit eröffnet, an seine eigene Vergangenheit als "DDR-Republikflüchtling" zu erinnern. Ganz abgesehen davon also, sagt er, will uns die "Pokerrunde" auch was sagen: Zum Beispiel, wie "perfekt" unser Nervensystem ist. Oder wie viel Sitzfleisch Kartenspieler brauchen. Nun gut. Meinte er es ernst mit seinem hehren Anspruch, der Plastinator, dann zeigte er mehr von jenen eindrücklichen Exponaten wie dem "Strauß". Aber es gibt nur wenige davon.
In Bremen hat sich zwar der Bürgermeister gegen die Ausstellung positioniert. Dennoch vermarktet die Touristikzentrale die "Körperwelten". Und die Bildungssenatorin? Mag sie "nicht empfehlen". SchülerInnen aber davon auch "nicht abraten". Und Leichen - können sie ja auch anderswo in der Stadt sehen.
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