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Leibesübungen IEin einziger lichter Moment

Hertha gewinnt gegen Bielefeld glücklich mit 1:0. Der Treffer fällt erst in der Nachspielzeit.

Raffael (zweiter von rechts) feiert mit Marko Pantelic (rechts), Josip Simunic (zweiter links) und Herthinio sein Tor. Bild: AP

Alle Bemühungen schienen zwecklos zu sein. Immer wieder waren die Berliner gegen die Bielefelder Abwehr angerannt. Doch sie hatten es über 90 Minuten lang uninspiriert und mutlos getan. Es wirkte so, als ob die Herthaner schon von Anfang an mit der Überzeugung spielten, dass sie scheitern würden, als wäre das Geschehen auf dem Rasen vorherbestimmt und jeder Widerstand dagegen sinnlos.

In den letzten Sekunden der Nachspielzeit unternahmen sie dann ihren letzten Alibiversuch. Sofian Chahed warf den Ball weit in den Strafraum hinein auf den Bielefelder Thorben Marx. Der Exberliner konnte das Leder mit dem Kopf aber nur senkrecht in die Höhe befördern. Als es wieder hinunterfiel, schaltete Neuzugang Raffael am schnellsten und erzielte das entscheidende 1:0. Diese finale Spielaktion bescherte den Herthanern nicht nur glückliche drei Punkte, sondern auch einen Interpretationsansatz, mit dem sie der ganzen Partie einen eigenen Sinn verleihen konnten.

Die unzähligen Missgeschicke über 90 Minuten wurden mit Raffaels Geschick in letzter Sekunde in einen Zusammenhang gezwungen. "Wir haben das Glück provoziert", sagte Berlins Trainer Lucien Favre. Und Dieter Hoeneß assistierte: "Die Mannschaft hat gesehen, dass man Erfolg hat, wenn man viel investiert." Ein lichter Moment genügte den Verantwortlichen, um ein ganzes Spiel aufzuhellen. Und so blieben die Berliner davor verschont, Rechenschaft über die vorherige Ineffizienz ihrer Anstrengungen abzulegen.

Vor dem erlösenden Siegtreffer hatten sich die Berliner nämlich nur zwei ernsthafte Torchancen gegen den westfälischen Abstiegskandidaten herausspielen können. In der ersten Halbzeit drosch Marko Pantelic den Ball aus spitzem Winkel übers Tor, und in der zweiten zwang Raffael Bielefelds Torwart Mathias Hain zu einer Glanzparade. Alles andere war eher verschweigens- denn erwähnenswert.

Nach dem überraschenden 3:1 vor einer Woche in Stuttgart hatte man im Olympiastadion eigentlich ein selbstbewusstes Berliner Team erwartet. Die junge Mannschaft scheint aber den typischen Schwankungen eines Pubertierenden zu unterliegen. Völlig unberechenbar tritt sie mal mutig, mal verzagt auf.

Insofern kann man die positive Umdeutung des Spielgeschehens durch die Hertha-Verantwortlichen auch als pädagogischen Kniff verstehen. Die unsichere Mannschaft soll in Schwung geredet werden. Und der Sieg gegen Bielefeld verschaffe den geeigneten Nährboden, um das zarte Pflänzlein aufzupäppeln. "Mit Raffael haben wir jetzt einen zweiten Spieler neben Pantelic, der ein Spiel entscheiden kann", frohlockte Hoeneß. Der Brasilianer selbst hingegen behielt die Realität fest im Auge: "Aus meiner Sicht habe ich keine sehr gute Partie gespielt." Hoeneß verbreitete unverdrossen weiter gute Stimmung. Er bemerkte, dass nun der Abstand zu einem Uefa-Cup-Platz kleiner sei als zu einem Abstiegsrang. Und die nächste Begegnung in Wolfsburg werde der Mannschaft ohnehin einfacher fallen als das Spiel gegen Bielefeld. "Der Konterfußball liegt uns mehr."

Für diese These gibt es aus der jüngsten Vergangenheit nur einen einzigen Beleg: der Erfolg von Stuttgart. In der Hinrunde haben die Berliner auswärts nur beim Tabellenletzten erfolgreich Konter setzen können. Ob sich die Hertha durch ihre fünf Neuzugänge in der Winterpause tatsächlich in ein Konterteam verwandelt hat, bleibt abzuwarten.

Für die heimischen Zuschauer verheißt dies allerdings wenig Gutes. Wenn die Herthaner künftig wieder versuchen werden, ein Spiel zu gestalten, wird das Publikum gewiss bis zum letzten Moment ausharren. Am Samstag verließen Tausende vorzeitig das Spiel - und brachten sich um die Chance, ihrem Kommen noch einen Sinn zu geben.

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