Lehrer über die Schulpolitik der Hessen-CDU: "Die Hauptschule beschämt die Kinder"
Der Lehrer Peter Kühn ist gegen die Unionspläne, die Hauptschule beizubehalten. Auf seiner Hauptschule sind nur noch wenige SchülerInnen, und die sind stigmatisiert.
taz: Herr Kühn, die CDU hat eine Bestandsgarantie für den Hauptschulabschluss ausgegeben. Freut es Sie als Haupt- und Realschullehrer, dass Ihr Arbeitsplatz im Falle eines Wahlsieges sicher ist?
Peter Kühn: Durchaus nicht. Ich muss nicht unbedingt in einer Hauptschule sitzen. Wir von der Schulleitung würden uns gerne in eine integrierte Gesamtschule umwandeln, in der Schüler erst ab Klasse neun oder zehn getrennt werden. Aber daran hat das derzeitige Kultusministerium überhaupt kein Interesse.
An der Haupt- und Realschule in Heppenheim lernen Schüler beider Zweige immerhin unter einem Dach. Ist die Hauptschule in Reinform nicht sowieso längst abgeschafft?
Das ist richtig, reine Hauptschulen gibt es in Hessen nur noch sehr wenige. Aber die Zusammenführung von Haupt- und Realschule wie bei uns ist rein organisatorisch. Wir haben getrennte Klassen, wobei es vor zehn Jahren als ich hier am Ort anfing noch vier Hauptschulklassen gab. Im letzten Jahr konnten wir noch eine fünfte Klasse mit gerade mal 12 Schülern eröffnen, und ob wir dieses Jahr genügend Schüler zusammenkriegen, ist sehr fraglich. Die Hauptschule wird von Eltern nicht mehr akzeptiert.
Welche Kinder unterrichten Sie im Hauptschulzweig?
Die Hälfte kommt aus Familien mit Migrationshintergrund und generell sind es Kinder von Eltern, die entweder kein Geld für Nachhilfe haben oder sich wenig Gedanken um die Bildung ihrer Kinder machen. Das ist nur noch ein Rest von Eltern. Zehn Kilometer von Heppenheim entfernt ist eine Integrierte Gesamtschule. Dorthin fahren täglich über 150 Kinder, viele von ihnen wären sonst auf der Hauptschule gelandet.
Die Lernbedingungen sind dafür in Ihrer Schule ideal - nur 12 Schüler in einer Klasse!
Aber mit dieser Aussortiererei beschämen wir die Kinder. Wer auf der Hauptschule gelandet ist, empfindet sich als abgeschoben. Sie wieder aufzubauen ist eine mühsame Arbeit.
Der derzeitige und vielleicht auch künftige CDU-Kultusminister Jürgen Banzer denkt darüber nach, Haupt- und Realschüler zunächst in "Qualifizierungsschulen" gemeinsam zu unterrichten. Wäre das nicht in Ihrem Sinne?
Natürlich ist ein gemeinsame Orientierungsstufe besser als eine frühe Trennung nach der vierten Klasse. Aber es bringt nichts, Hauptschüler in Realschulklassen zu stopfen. Sie brauchen wegen der unterschiedlichen Lehrpläne besondere Stunden und extra Kurse. Das Niveau im Englischunterricht ist für Hauptschüler beispielsweise sehr viel niedriger als für Realschüler. Übrigens gelangen auch Realschüler nach Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre kaum noch aufs Gymnasium, weil sie laut Lehrplan ein Jahr später mit der zweiten Fremdsprache beginnen. Das aufzuholen schafft kaum einer. Das ist aber bewusst so gewollt, nach dem Motto: Teile und Herrsche.
Die Verteidiger des gegliederten Schulsystem berufen sich eher auf unterschiedliche Begabungen, und die gibt es nun mal.
Deshalb muss man im Unterricht differenziert arbeiten. Anstelle des Frontalunterrichts, sollten die Schüler in Projekten lernen und ihr eigenes Wissensporfolio aufbauen. Eine leistungsmäßig homogene Klasse ist doch sowieso eine Fiktion, die in keiner Schulform verwirklicht werden kann.
Wäre es da nicht sinnvoll, wenn SPD und CDU eher über eine Verbesserung des Unterrichts nachdächten als über Schulstrukturen zu streiten?
Ich weiß gar nicht, warum man sich über die Strukturfrage so herumdrückt. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es in den meisten Ländern üblich ist, dass Schüler lange gemeinsam lernen. Statt Schüler weiter in Schubladen zu stecken, kann die Alternative nur sein, alle länger zusammen zu unterrichten. Denn Schüler lernen nicht nur von Lehrern, sondern auch von Mitschülern. Aber diese Möglichkeit haben sie in Hauptschulklassen nicht mehr.
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