Lehman-Zertifikate: Pädagoge gegen Sparkasse
Heute beginnt der nordweit erste Prozess im Zusammenhang mit der Lehman-Pleite. Der pensionierte Lehrer Bernd Krupsky verklagt die Hamburger Sparkasse auf Schadensersatz.
Wie eine tickende Zeitbombe lagen die Anleihen fast zwei Jahre lang so gut wie unbeachtet in Bernd Krupskys Depot. In den Vermögensaufstellungen der Hamburger Sparkasse (Haspa) firmierten die brisanten Lehman-Zertifikate unter der Vertrauen erweckenden Rubrik "Renten Standard", wie sich der 64 Jahre alte pensionierte Lehrer erinnert. Gewarnt war Krupsky erst, als in den Medien von der Insolvenz der US-Investmentbank die Rede war, der er auf Anraten seiner Sparkasse Geld geliehen hatte. Aber da war es schon zu spät: Die Lehman-Pleite sandte im September Schockwellen um den Globus, ließ die Finanzkrise eskalieren - und machte ihn schlagartig um 10. 000 Euro ärmer.
Von heute an versucht Krupsky, die Haspa in einem Zivilprozess vor dem Hamburger Landgericht zur Zahlung von Schadensersatz zu zwingen. In anderen Städten gab es bereits vereinzelte Gerichtsentscheidungen im Zusammenhang mit möglichen Banken-Fehlern beim Verkauf von Lehman-Zertifikaten, im Norden aber ist es das erste Verfahren. Weitere Prozesse werden in den nächsten Wochen und Monaten folgen. Die Prozesswelle, mit der Lehman-Geschädigte und Verbraucherschützer seit längerem drohen, scheint langsam anzulaufen.
Krupsky selbst ist ein eher ruhiger, nachdenklicher Zeitgenosse. Wutentbrannte öffentliche Anklagen sind seine Sache nicht. Die Aufmerksamkeit, die mit seiner zufälligen Pionierrolle einhergeht, scheint ihm unangenehm. "Ich habe diese Rolle nicht gesucht", sagt er beim Gespräch im Wohnzimmer seiner gemütlichen Ottensener Altbauwohnung. Janssen-Radierungen hängen an der Wand. Allerdings sieht er den Prozess mittlerweile auch als Chance, die Menschen aufzuklären. "Natürlich geht es mir um mein Geld. Ich finde aber auch, dass die Banken nicht damit durchkommen sollten."
Damit durchkommen. An solchen Sätzen merkt man immer wieder, wie irritiert Krupsky von dem ist, was er nach 40 Jahren bei der Haspa mit seiner Beraterin erlebte. Wie sehr er nun der Meinung ist, das in den Beziehungen von Banken und ihren Kunden grundsätzlich etwas schief läuft. "Naja, wir haben uns natürlich auch etwas aufschwatzen lassen", räumt er ein. Im Rückblick aber dominiert vor allem das Gefühl, mit unlauteren Tricks zum Kauf verführt worden zu sein.
Auch Krupskys Lebensgefährtin Brigitte Kuchs sieht das so. "Wir gehören eigentlich nicht zu den obrigkeitshörigen Menschen", betont die pensionierte Lehrerin mit den rötlich gefärbten Haaren. Anti-AKW-Bewegung, Lehrergewerkschaft - das politisch interessierte Paar weiß durchaus, wie man seine Interessen vertritt. Er hätte sich nicht auf den Kauf der Anleihen eingelassen, wenn die Sparkasse nicht jedes Risiko verneint hätte, ergänzt Krupsky: "Das glaubt man, dem vertraut man natürlich."
Potenzielle Beratungsfehler sind denn auch der entscheidende Hebel, mit dem der Anwalt des Paares, Ulrich Husack, vor Gericht gegen die Haspa vorgehen will. Auf dessen Schreibtisch stapeln sich Dutzende blaue Akten mit Fällen von Lehman-Geschädigten. Bei den meisten wird es vor Gericht wohl vor allem darum gehen, ob die Banken hinreichend über das Risiko aufgeklärt haben. Bei Krupsky wählt Husack noch einen weiteren Ansatzpunkt. "Jeder Fall ist ein Einzelfall", erläutert der Experte. Er habe festgestellt, dass die an den Lehrer verkauften Lehman-Anleihen aus einer Serie stammten, die Lehman überhaupt erst im Auftrag der Haspa auflegte. Das Ziel sei gewesen, die Papiere mit einer Gewinnmarge an die eigenen Kunden zu verkaufen und so Einnahmen zu erzielen - was bei der Beratung aber nicht erwähnt wurde.
Die entscheidende Frage sei nun, ob der Betroffene auch in das Geschäft eingewilligt hätte, wenn er von dem Eigeninteresse der Haspa gewusst hätte. "Der Kunde rechnet nicht damit, dass sich eine Sparkasse genauso verhält wie ein gewinnorientierter Einzelhändler", sagt Husack und beruft sich auf ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs von 2006. Demnach müssen Banken über "verdeckte Rückvergütungen" an sich selbst aufklären.
Unabhängig von etwaigen Prozessen hat die Haspa inzwischen etwa 1.000 Zertifikate-Käufer entschädigt. Nach Angaben des Instituts erhielten die Kunden aus Kulanz zehn bis 100 Prozent ihres Geldes zurück. Bei rund 250 Betroffenen habe man Beratungsfehler nicht ausschließen können. Bei 700 anderen habe es sich um Härtefälle gehandelt, denen man aus sozialen Gründen entgegenkommen wollte. Weitere 2700 Kunden gingen leer aus und müssen sich Schadenersatz notfalls vor Gericht erstreiten.
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