Leere Versprechen in Bayerns Asylpolitik: Kakerlaken und bröckelnde Wände
Vor zwei Jahren versprach Bayerns Regierung bessere Lebensbedingungen für Asylbewerber. Doch die Verhältnisse in Coburg sind weiterhin menschenunwürdig.
COBURG taz | Er hat Beweise mitgebracht, Fotos - von Rissen im Mauerwerk, herausgebrochenen Steckdosen, Kakerlaken in Schränken. Zwei Wochen ist es her, dass Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat diese Bilder in einer Coburger Asylunterkunft gemacht hat. Damals fand er ein vor sich hin gammelndes Haus voller Gestank, Schmutz, Kakerlaken vor. Nun steht er mit prominenten Politikern aus dem Landtag und dem Kamerateam des Bayerischen Fernsehens in der Küche der Unterkunft, und es riecht nach frischer Wandfarbe.
Über den Politikern steht auf einer Leiter unbeeindruckt ein Handwerker und streicht die Decke neu. Wo vor wenigen Tagen noch die Wand fleckig war, vom Regenwasser, das durch ein Loch im Dach siffte, strahlt nun jungfräuliches Weiß. Es gibt Asylbewerber, die schon seit über zehn Jahren in der Coburger Unterkunft leben. Maler mit Wandfarbe hätten sie in diesem Haus bis vor wenigen Tagen noch nie gesehen, sagen sie. Bis der Flüchtlingsrat gegen die Zustände protestierte und Medien und Politik zum Besuch einlud. Auf einmal kamen die Handwerker und der Kammerjäger.
Thal reißt die Tür zu einem Holzschrank auf, in dem ein Bewohner sein Essen verstaut. Vor zwei Wochen hingen gleich hinter der Tür ein Dutzend braun glänzender Kakerlaken. "Jetzt riecht es nach Chemikalien", meint Thal. Das Asylbewerberheim in Coburg steht für eine weitere Runde im bizarren Spiel, das sich die bayerischen Behörden seit zwei Jahren mit der Öffentlichkeit liefern: Wann immer die Aufmerksamkeit auf eine besonders erbärmliche Flüchtlingsunterkunft fällt, gibt es schnell ein paar Schönheitskorrekturen. Für die Bewohner ändert sich kaum etwas.
In Paragraf 7 des bayerischen Asylbewerberleistungsgesetzes von 2002 heißt es: Die Unterbringung in Sammelunterkünften "soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern". Seit 2010 lockert die CSU-FDP-Landesregierung die harten Regeln. --
Am 1. April 2010 erließ Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) neue Leitlinien zur Ausstattung von Asylbewerberunterkünften, die Mindeststandards bei Zimmern, Wasch- und Kochräumen definieren. Ein Landtagsbeschluss vom 14. Juli 2010 will Flüchtlingen gestatten, schneller aus den Asylheimen auszuziehen. Aktuell arbeitet die Regierung am Gesetzentwurf. Das Sozialministerium schätzt, dass durch die neuen Regeln allein im kommenden Jahr 1.400 von rund 7.000 in Sammelunterkünften lebenden Asylbewerbern in eigene Wohnungen ziehen könnten. Doch im Asylkompromiss des Landtags heißt es auch, die Staatsregierung solle die Verbesserungen für die Flüchtlinge "vor dem Hintergrund der finanzpolitischen Rahmenbedingungen" verwirklichen. Das heißt zurzeit vor allem: sparen. (bhü)
Als die Medien 2008 deutschlandweit über die menschenunwürdigen Zustände in einer Unterkunft in Würzburg berichteten, reduzierten die Behörden schnell die Belegung des Heims von 450 auf 342 Personen. Geschlossen wurde es nicht. Als die Opposition vor wenigen Monaten gegen die Holzbaracken protestierte, in denen in der Münchner Heinrich-Wieland-Straße bald Asylbewerber leben sollen, änderte die Bezirksregierung dort die Zimmergrößen. Die Baracken kommen trotzdem.
Die in Coburg für die Kameras inszenierte Illusion eines sauberen Heims für Flüchtlinge fällt trotzdem schon nach wenigen Schritten in sich zusammen. Ein Stockwerk über der Küche, in der sich Politiker und Kamerateams drängen, krabbeln gleich neben dem Herd Kakerlaken die Wand entlang. Der Ofen ist mit dicken, braunen Flecken überzogen, der Müll quillt aus einer offenen Plastiktüte.
Und da sind die Heimbewohner: Kerachi Mohammed, geboren in Algerien, seit 14 Jahren in der Gemeinschaftsunterkunft in Coburg, fasst die Reporter an Armen und Schultern, als würde er ihnen gleich um den Hals fallen. Endlich gebe es wieder Hoffnung, endlich interessiere sich jemand für die Bedingungen, unter denen sie leben müssten, sagt Mohammed. "Bis jetzt war das Leben hier wie der Tod."
Nadehm Ibrahim, 37, zieht eine Holzschachtel aus seinem schmalen Spint, und schon fallen Kakerlaken heraus. Seit zehn Jahren lebt der aus Syrien geflohene Kurde im Coburger Heim. "In die Stadt gehen, schlafen, essen", so sehe sein Alltag aus. Seit Jahren würde er gerne arbeiten, darf es aber nicht. Man könnte meinen, dass ihn das eintönige Leben in der maroden Unterkunft wütend auf sein neues Heimatland gemacht hätte.
Doch auf einem schmalen Regal steht ein Foto von der Fußball-WM: Nadehm Ibrahim gehüllt in eine Deutschlandfahne, mit einen schwarz-rot-goldenen Hut auf dem Kopf. Auf dem Tisch neben seiner Teekanne stehen schwarz-rot-gold-gestreifte Gläser. "Das mit den Kakerlaken ist schlimm für Deutschland", sagt er.
Vor wenigen Tagen bekam Ibrahim den Bescheid, dass er aus dem Heim ausziehen darf. So viel Glück haben nur wenige der 50 Menschen in der Uferstraße. Die meisten sind alleinstehende Männer, sie verbringen ihre Zeit in einem altersschwachen Firmengebäude in einem Gewerbegebiet am nördlichsten Rand Bayerns, oft über Jahre, ohne Arbeitserlaubnis, mittel- und perspektivlos.
Was anmutet wie ein beispielloser Skandal, ist in Bayern Alltag. Kein Bundesland legt die Asylgesetze so hart gegen die Flüchtlinge aus wie Bayern. Über 7.000 Asylbewerber leben auf engstem Raum in zum Teil erbärmlichen Gemeinschaftsunterkünften. Die abschreckenden Bedingungen waren noch vor wenigen Jahren von der CSU-Regierung politisch gewollt, doch seit 2008, seit die FDP mit der CSU zusammen regiert, distanzierte sich die Regierung zunehmend von der harten Linie.
Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) versprach 2008, sie werde die Asylpolitik "zeitgemäß ausrichten". Nach monatelangen Debatten verabschiedete der Landtag Lockerungen in der Asylpolitik - und Mindeststandards für die Unterkünfte. Umsetzen sollen die Neuerungen die Regierungen der bayerischen Bezirke, stolze Provinzbehörden, weit weg vom Landtag und den Ministerien. An der Spitze der Bezirksregierungen stehen altgediente Verwaltungsbeamte, keine Politiker, die etwas verändern wollen.
Vor einem halben Jahr hat die bayerische CSU-FDP-Koalition beschlossen, dass Asylbewerber sich ab sofort frei in ihrem Regierungsbezirk bewegen dürfen. In Coburg beschweren sich einige Heimbewohner, dass sie nicht aus dem Landkreis herausdürfen. Von ihren neuen Rechten wissen hier viele noch nichts.
Draußen vor dem Haus steht eine Frau mit schwarzen Haaren, schwarzem Mantel, schwarzem Brillengestell. Sie heißt Petra Platzgummer-Martin und ist die Vizepräsidentin der Bezirksregierung von Oberfranken. Sie meint: "Es ist wirklich nicht unsere beste Einrichtung. Aber die rechtlichen Anforderungen werden erfüllt." Eigentlich habe man die Unterkunft aufgeben wollen, doch dann seien die Flüchtlingszahlen gestiegen. Die Bezirksregierung wusste keine Alternative und ließ die Asylbewerber im altersschwachen Haus.
"Den Beamten vor Ort kann ich keinen Vorwurf machen", sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Ulrike Gote bei ihrem Besuch. "Die Verantwortlichen sitzen im Ministerium." Opposition und Flüchtlingsrat sind unzufrieden mit den Asylreformen aus dem Sozialministerium. Denn die Verbesserungen sollen laut Beschluss der Regierungskoalition kein zusätzliches Geld kosten. So verwalten Ministerium und Bezirksbehörden weiter den Mangel - und schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.
Fragt man im Sozialministerium nach Coburg, heißt es: Zuständig sei die Regierung von Oberfranken. Die Regierung von Oberfranken sagt, sie habe im Jahr nur 300.000 Euro für zehn Gemeinschaftsunterkünfte zur Verfügung. Große Sanierungsarbeiten seien so kaum möglich. Wenn bei einer Unterkunft "Anpassungsbedarf" bestehe, so ein Ministeriumssprecher, müsse die Bezirksregierung "diesen unter Beachtung der haushaltspolitischen Rahmenbedingungen umsetzen". Das heißt: Zusätzliches Geld für die Sanierung von maroden Asylheimen bekommen die Bezirke nicht. Seit Bayern im Landesbank-Debakel über 10 Milliarden Euro verschleudert hat, sind die Haushaltsmittel knapp.
Für die Zustände in Bädern und Küchen könne man auch gar nichts, meint Petra Platzgummer-Martin. "Die Hygiene ist Aufgabe der Bewohner", erklärt sie und sagt allen Ernstes: "Die meisten von ihnen sind putzen und abspülen nicht gewohnt."
Gyan Gurung, 40, sieht nicht aus wie einer, für den putzen und abspülen etwas Exotisches wäre. Sein Zimmer ist aufgeräumt und sauber. Es steht voll mit neu aussehenden Kommoden und Schränken, an der Wand hängt ein großer Spiegel. Gurung hat die Möbel vom Sperrmüll geholt und selbst repariert. Er kann auch gut kochen. Darf aber nicht arbeiten. Sein Zimmer teilt er sich mit zwei weiteren Asylbewerbern. Im Raum stehen zwei Betten, der dritte Bewohner schläft auf dem Boden. Gurung ist wegen der Menschenrechte nach Deutschland gekommen.
Er blättert in einem Ordner voller Dokumente. Da ist die Bestätigung, dass er seine Heimat Bhutan verlassen musste. Seine Familie hatte die Demokratiebewegung unterstützt. Die Soldaten der Regierung brachten seine Mutter um, Gurung musste das Land verlassen. Im Ordner ist auch ein Schreiben von der Ausländerbehörde vom 19. 7. 2005. "Einstellung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz", steht da.
Weil Gurung als Regimegegner von der Botschaft von Bhutan keinen Pass bekommt, den er den deutschen Behörden vorlegen könnte, wurde ihm vor fünf Jahren das Taschengeld gestrichen. An der Feste Coburg gebe es gute Mülleimer zum Sammeln von Pfandflaschen, sagt er. So kommen 60 Euro im Monat zusammen. Davon bezahlt er einen Anwalt, um für sein Bleiberecht zu kämpfen, und Lehrbücher, um noch besser Deutsch zu lernen.
"Wenn man faul ist, kommt nie das schöne Leben", sagt Gurung. Das schöne Leben, das heißt für ihn: Steuern zahlen, arbeiten und vor allem: aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen. Bis dahin könnte es noch eine ganze Weile dauern. Anfang 2011 will das bayerische Sozialministerium überprüfen, wie die neuen Leitlinien für die Lebensbedingungen in den Unterkünften umgesetzt werden. Bis dahin sollen ein paar Eimer Farbe reichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers