Lebensmittel müssen nicht im Müll landen: Esst mehr Abfälle!
Bis zu 15 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich in Deutschland auf dem Müll. Eine Internetplattform will das ändern und hilft beim Verteilen.
BERLIN taz | Wer für das Menü mit Freunden zu viel eingekauft hat und nicht den Rest der Woche das Gleiche essen will, muss die Lebensmittel nicht wegwerfen. Auf der Plattform foodsharing.de kann man sie ganz leicht verschenken. Ein Klick, und Sie landen in einem virtuellen Marktstand. Man kann die Sachen zu Hause abholen lassen oder sie an einen sogenannten Hotspot bringen, wo andere sie mitnehmen können.
Nur Speisen aus rohen Eiern und Hackfleisch sind tabu, weil sie zu schnell verderben. Mehr als 3.400 NutzerInnen haben sich seit dem Projektstart registriert. „Wir wollen die Wertschätzung für Lebensmittel wieder erhöhen“, sagt Raphael Fellmer, Koordinator der Seite in Berlin.
Initiiert hat die Plattform unter anderem Valentin Thurn, Autor und Regisseur des Dokumentarfilms „Taste the Waste“, der zeigt, wie die Wegwerfgesellschaft mit Lebensmitteln umgeht.
15 Millionen Tonnen von noch Essbarem, schätzt Thurn, landen hierzulande jährlich auf dem Müll. Nach dem Kinostart habe er mit seinem Team überlegt, „was man praktisch tun könnte“. Im Juni gründeten sie den Verein foodsharing e. V. Das Geld für den Betrieb der Webseite kam durch Crowdfunding zusammen.
Thurn kritisiert, dass sich die politische Diskussion vor allem auf den Endverbrauch konzentriere. Im Frühjahr hatte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine Studie der Universität Stuttgart vorgestellt. Danach fallen 61 Prozent des Lebensmittelmülls in privaten Haushalten an, je 17 Prozent produzieren Großverbraucher und Industrie, den Rest der Einzelhandel.
Nach Thurns Recherchen ist das verkürzt, weil die Lebensmittel, die in der landwirtschaftlichen Produktion entsorgt werden, gar nicht vorkommen. Deshalb komme das Ministerium auch nur auf elf Millionen Tonnen Lebensmittelmüll. Gerade für Industrie und Handel fehlten aber Anreize, diese Verschwendung zu vermeiden. Thurn: „Die Arbeitskraft, die dafür nötig ist, kommt oft teurer als die weggeworfenen Lebensmittel.“
Ähnlich sieht das Udo Tremmel von Slow Food Berlin. Die Non-Profit-Organisation, die sich für faire und ökologische Lebensmittelproduktion einsetzt, unterstützt die Plattforminitiative.
„Mir gefällt das Interaktive – gemeinsam essen, tauschen, kochen“, so Tremmel. In der politischen Debatte dürfe das Problem aber nicht „am Verbraucher hängen bleiben“. So wanderten Rohprodukte, zum Beispiel Äpfel, die zu klein geraten sind, in die Tonne, weil sie den handelsüblichen Normen nicht entsprechen.
Fellmer will mit seiner Foodsharing-Idee auch Unternehmen ansprechen und denkt dabei insbesondere an kleinere Läden oder auch Landwirte. Mit der Supermarkt-Kette Bio Company arbeite man bereits zusammen.
Eine Konkurrenz zum System der Tafeln, die es mittlerweile in jeder größeren Stadt Deutschlands gibt, will die Intitiative hingegen nicht sein. Die Tafeln verteilen übrig gebliebene Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen und Haushalte mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze. „Es lohnt sich für die Tafel gar nicht, bei kleinen Bäckereien, Restaurants oder Läden die Reste zu holen“, meint Fellmer.
Auf eine Bedürftigkeitsprüfung habe man bewusst verzichtet. „Wir wollen weg von dieser Stigmatisierung: die Reste der Reichen für die Armen. In Deutschland schmeißen wir die Hälfte der Lebensmittel weg, da ist genug für alle da.“
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