Lebensmittel individuell produziert: Das Ego im Marmeladeglas
Onlineanbieter für Müsli, Marmelade oder Saft geben ihren Kunden nicht nur das Gefühl, individuell zu sein, sondern auch gleich noch kreativ. Bei 566 Billiarden Möglichkeiten kein Problem.
Marmelade selbermachen ist nicht so schwierig. Die Früchte in den Topf geben, Gelierzucker dazu, drei Minuten kochen. Fertig. So steht es in jedem Kochbuch. So war es bislang.
Heute muss man dazu nicht einmal mehr in die Küche gehen, es genügen ein paar Mausklicks im Internet. Bei mymelade.de etwa sucht man sich seine Lieblingsfrüchte aus, fügt sonstige Zutaten hinzu, von Basilikum über Marzipan bis Zimt. Sogar Blattgold gibt es. Ein paar Tage später kommt die Marmelade per Post ins Haus. Mindestens 5,99 Euro kosten 400 Gramm, hinzu kommen die Versandkosten. "Wir haben überlegt, was es noch nicht gibt", sagt Mymelade-Gründer Tobias Merkl, "da kamen wir auf individuelle Marmelade." Seit Juni sind sie im Geschäft.
Aus der Autoindustrie kennt man das Prinzip der "Mass Customization", der kundenindividuellen Massenproduktion, schon lange, jetzt kann sich jeder auch in der Lebensmittelbranche verwirklichen. Online gibt es jede Wunschmischung, sei es nun Marmelade, Tee, Schokolade, Gummibärchen oder Müsli. "Es überrascht mich sehr, dass es daran so viel Interesse gibt", sagt Frank Piller, BWL-Professor an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Er befasst sich seit fünfzehn Jahren mit diesem Thema.
Die deutschen Vorreiter der Maßlebensmittel kommen aus Niederbayern, sind Ende 20 und wollten das beste Müsli der Welt kreieren. Doch sie merkten: Das eine perfekte Müsli gibt es nicht, jeder hat andere Vorlieben. Das war die Idee für mymuesli.com, das vor zweieinhalb Jahren an den Start gegangen ist. "Dass sich Müsli so gut dafür eignet, wussten wir damals noch nicht", sagt Mitgründer Hubertus Bessau.
Nach zwei Wochen waren sie ausverkauft, alle Flocken, Körner und Früchte weg - das hat sie schon ein bisschen überrascht. Offenbar hatten sie einen Nerv getroffen. Heute haben sie nach eigenen Angaben neunzig Mitarbeiter und hunderttausende Kunden im In- und Ausland. "Die Kunden haben den Drang, etwas Neues auszuprobieren", sagt Bessau, "aber auch den Wunsch, etwas Ausgefallenes zu bekommen." Die Kundschaft sei sehr gemischt. Ein paar Internetnerds, ein paar Ökos, aber vor allem Familien, junge Frauen mit hoher Bildung und hohem Einkommen. 575 Gramm Müsli kosten mindestens 3,90 Euro. Nicht billig, aber bio.
Viele Kunden freuen sich, endlich ein Müsli ohne Rosinen zu bekommen. Einige probieren lange herum, bis sie ihr Lieblingsmüsli gefunden haben, und bestellen dann nur noch dieses. Bessau und seine Kollegen haben 100.000 Bestellungen verglichen und festgestellt: Nur 42 Mal gab es dieselbe Mischung. Kein Wunder, rechnerisch gibt es 566 Billiarden Kombinationsmöglichkeiten. Manchen ist das nicht genug, immer wieder kommen neue Zutatenwünsche. "Einer schlug Rindfleischstückchen vor", erinnert sich Bessau, "das wollten wir dann doch eher nicht."
Natürlich könnte man auch zu Hause sein Traummüsli zusammenmischen. Aber wer hat schon Pinienkerne im Regal stehen oder Physalis-Früchte? "Das ist den meisten dann doch zu viel Aufwand", sagt Mass-Customization-Experte Piller. Zudem haben die Leute am Bildschirm das Gefühl, etwas selbst zu machen. Sie haben Spaß am Mischen und sind dann stolz auf ihre Kreation. Trotzdem ist Piller skeptisch, ob man mit Maßlebensmitteln langfristig erfolgreich sein kann. Auch, weil sich Geschmack nur schwer virtuell vermitteln lässt: "Es kann funktionieren, wenn es dem Verbraucher einen Nutzen bringt."
Auch wenn manche Ernährungsmediziner bestreiten, dass eine auf den Körper abgestimmte Ernährung von Nutzen ist - aber genau das suchen viele Kunden. Sei es beim Online-Müslimacher oder bei Saftfabrik.de. Seit Anfang des Jahres kann sich bei dem Berliner Start-up-Unternehmen jeder online sein Lieblingsobst und -gemüse zusammenklicken. "Diese Mischungen findet man sonst nirgends", sagt Mitgründerin Ana Druga, "der gesundheitliche Aspekt ist für viele ganz wichtig".
Nebenan in der Produktionsküche zupft ein Mann mit Kopfhaube und weißer Schürze Minzblätter in den Messbecher, seine Kollegin wiegt mit der Digitalwaage Himbeeren ab. Alles kommt zusammen in den Mixer. Der Saft wird dann - ohne vorher erhitzt zu werden - in Glasflaschen gefüllt und in einer Isolierbox verschickt. Alles Handarbeit.
Im Vergleich zu Mymuesli ist die Saftfabrik klein. 1.600 Online-Bestellungen gab es bislang, darunter aber auch Firmenkunden, die gleich mehrere tausend Flaschen ordern. Man wächst also. Bei der Saftfabrik zeigt sich aber auch das Problem beim Selbermischen: Überforderung. Wer nicht weiß, welche Früchte eigentlich zusammenpassen, greift doch lieber zu den Säften, die sich bewährt haben. Denen haben sie Namen gegeben, "Morgentau" oder "Immunimum", 5,50 Euro der halbe Liter. "Wir verkaufen auch ein Lebensgefühl", sagt Druga.
Das ist bei Mymuesli ganz ähnlich. Es gibt inzwischen Stammkunden wie Clemens Burger. Der Informatiker aus Moosbrunn in Österreich kauft immer wieder Müsli, auch wenn sein erster Mix ihm nicht geschmeckt hat. "Da habe ich ein bisschen übertrieben", sagt Burger, "man darf nicht wie ein Irrer alle Zutaten reinschmeißen."
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