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Archiv-Artikel

Lebenslang in Gewahrsam

Der Landtag beschäftigt sich heute mit dem Fall eines Mannes, der in Bonner Polizeigewahrsam ins lebenslange Koma fiel. Die Staatsanwaltschaft prüft eine Anklage gegen die Polizeibeamten

VON ANNIKA JOERES

Der Innenausschuss des Landes nimmt sich dem Schicksal eines Mannes an, der zwischen Leben und Tod schwebt: Das Herz des 31-Jährigen ist während einer Nacht in Polizeigewahrsam im vergangenen November stehen geblieben, seitdem liegt er im Koma, wird künstlich beatmet, künstlich ernährt. Wahrscheinlich wird er nie wieder aufwachen. Seine Organe sind aber so gesund, dass er noch lange leben kann.

Der FDP-Landtagsabgeordnete Stefan Grüll und sein sozialdemokratischer Kollege Bernhard von Grünberg aus Bonn wollen nun im Düsseldorfer Landtag den Fall diskutieren. „Spätestens Freitag gibt es ein Gespräch mit Innenminister Fritz Behrens (SPD)“, so Grüll. Er wolle keine große Welle schlagen, „dazu ist die Sache zu dramatisch“, er frage sich aber, ob es einen Zusammenhang zwischen nicht-genehmigungsfähigen Zellen und dem Unglück gebe. „Nach der Antwort werde ich politische Konsequenzen ziehen.“

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Unfalls kam heraus, dass die Gewahrsamszellen in NRW mangelhaft sind: Fixierungsvorrichtungen für Hände und Füße waren oft falsch angebracht worden. Ulrich Rungwerth, Sprecher des Innenministeriums, sieht die „Zellenfrage“ gelöst. „Alle Mängel wurden behoben.“ Außerdem habe Behrens noch einmal auf ein Merkblatt über die Gefahr der Bauchlage für Betrunkene hingewiesen.

Mittlerweile beschäftigt sich nicht nur das Innenministerium, sondern auch die Staatsanwaltschaft Bonn mit dem Fall. Sie ermittelt wegen des Verdachts der Körperverletzung gegen die vier Beamten, die den alkoholisierten Mann festnahmen. Der Betrunkene hatte drei Promille im Blut, wurde von den Polizisten auf den Bauch gelegt und an Händen und Füßen fixiert. Er hätte niemals in eine Bauchlage gebracht werden dürfen, so die Staatsanwälte. „Für alkoholisierte Menschen bedeutet das Lebensgefahr.“

Die entscheidende Frage ist nun: Hat eine Verkettung unglücklicher Umstände zu dem Herzstillstand geführt? Dann würde eine Anklage fallen gelassen. Oder aber war es ein Systemfehler und die Polizeibeamten wussten nichts über die besonders gefährliche Körperstellung für Betrunkene? Und wenn ja, warum waren sie so schlecht informiert? Für Olaf Heuvens, von den Geschwistern des Komapatienten beauftragter Rechtanwalt aus Düsseldorf, ist die Antwort klar: „Die Beamten haben falsch gehandelt und meinen Mandanten 30 Minuten unbeaufsichtigt gelassen.“ Das sei eine nicht zu entschuldigende Unachtsamkeit, „Schlimmeres will ich jetzt nicht unterstellen“. Ein Überwachungsvideo dokumentiere sehr gut, wie die Beamten den damals noch 30-Jährigen auf den Bauch legten, zusätzlich habe sich ein Beamter für die Blutentnahme auf seinen Rücken gekniet. „Die Tatsachen sprechen für sich“, sagt Heuvens. Die Konsequenz dieses Verhalten sei so groß, es müsse zu einer Anklage kommen. „Mein Mandant wird nie wieder ein normales Leben führen, er kann nur noch im Krankenhaus hin- und hergewendet werden.“

Harry Kolbe, Sprecher der Bonner Polizei, sagt: „Unabhängig von der Schuldfrage – das trifft uns sehr, wenn ein Mensch in unserer Obhut ins Koma fällt.“ Ob seine Kollegen falsch gehandelt haben, will er nicht beurteilen. „Der Prozess ist ja noch nicht einmal eröffnet.“ Fest stehe aber, dass der Dienst für die Gewahrsamszellen ein sehr belastender sei. „Die Klientel ist nicht einfach und sie werden oft mit starken Aggressionen konfrontiert.“ Pro Tag würden in Bonn neun Menschen gegen ihren Willen eingeliefert. „So professionell die Beamten auch vorgehen: Es bleibt Gewalt, um die Gewalt des Anderen zu brechen,“ sagt Kolbe.

Udo Schott vom Vorstand der Gewerkschaft der Polizei in Bonn will noch nicht über das Verhalten der Kollegen urteilen. „Dazu ist es zu früh“, sagt er. Dass der Unfall jetzt auch im Düsseldorfer Landtag diskutiert würde, sei „sehr weit hergeholt.“ Das sei absolut kein Polizeiskandal. „Wenn Menschen sich mit allen Mitteln wehren, kann immer was passieren“, sagt Schott. Die Gewahrsamnahmen würden in den letzten Jahren sogar ansteigen. „Da können wir nicht jeden mit Wattebäuschen anfassen.“