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Lebenserwartung und TestosteronKastraten leben länger

Einen Vorteil muss die Sache ja haben. Eunuchen haben eine höhere Lebenserwartung. Schuld ist offenbar das männliche Sexualhormon Testosteron – was sonst.

Mit diesen Hoden wird der Zuchtstier sicher nicht besonders alt. Bild: Imago/Geisser

CAMBRIDGE dapd | Eunuchen leben länger als nicht kastrierte Männer. Das ist das Fazit, das ein südkoreanisches Wissenschaftlertrio aus einer Analyse historischer Aufzeichnungen zieht.

Im Korea des 16. bis 18. Jahrhunderts hatten die Kastraten demnach im Schnitt eine um 14 Jahre höhere Lebenserwartung als ihre unversehrten Geschlechtsgenossen. Besonders auffällig sei die Häufung von über Hundertjährigen unter den Eunuchen gewesen: Deren Anteil lag um ein Vielfaches höher als heute in den modernen Industrieländern.

Was genau für den Effekt verantwortlich war, können die Wissenschaftler zwar noch nicht sagen. Die Ergebnisse passen jedoch zu der These, dass männliche Sexualhormone den Organismus und das Immunsystem schwächen und somit die Gesundheit beeinträchtigen, schreiben Kyung-Jin Min von der Inha-Universität in Incheon und seine Kollegen im Fachjournal Current Biology.

Weibchen leben im Allgemeinen länger als Männchen - das ist nicht nur beim Menschen so, sondern auch bei vielen Tieren. Dahinter steckt einer gängigen Theorie zufolge ein Konflikt um die Ressourcenverteilung im männlichen Körper: Wer sich fortpflanzen möchte, muss in ein attraktives Erscheinungsbild und in die Produktion von Keimzellen und männlichen Hormonen investieren.

Ratten im Tierversuch kastriert

Die dafür benötigte Energie steht dann jedoch nicht mehr für andere körperliche Prozesse wie etwa die Abwehr von Krankheiten oder die Reparatur von beschädigtem Gewebe zur Verfügung. Deshalb altert der schneller und stirbt auch früher, der viel Testosteron produziert. Im Tierversuch hat sich diese Annahme bereits belegen lassen. Werden männliche Ratten oder Hunde kastriert, erhöht sich ihre Lebenserwartung.

Ob das auch beim Menschen der Fall ist, lässt sich weniger leicht nachweisen. Min und seine Kollegen haben nun jedoch eine Möglichkeit gefunden. Sie werteten Familienchroniken aus der Zeit der Joseon-Dynastie aus, die von 1392 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Korea herrschte.

Genitalien durch Hundebiss verloren

Während dieser Zeit gab es am Herrscherhof fast durchgehend Eunuchen, die entweder durch Unfälle wie etwa Hundebisse im Kindesalter ihre Genitalien verloren hatten oder gezielt kastriert wurden, um Zugang zum Palast zu erhalten. Denn sie führten dort ein privilegiertes Leben und dienten als Torwächter, Boten, Verwalter von Nahrungsvorräten sowie Gebäudemanager, die sich um alle möglichen Belange kümmerten. Sie waren die einzigen Männer, die - abgesehen von der Herrscherfamilie - auch nachts im Palast bleiben durften.

Im Gegensatz zu ihren Pendants in anderen Kulturen war es den koreanischen Eunuchen erlaubt, zu heiraten und Kinder zu adoptieren - Mädchen oder kastrierte Jungen. Die Geschichten dieser Familien, die zwar nicht blutsverwandt, aber eng verbunden waren, wurden sorgfältig aufgezeichnet – eine Gewohnheit, die sich Min und seine Kollegen jetzt zunutze machten.

Um die Lebenserwartung der Eunuchen bestimmten zu können, werteten sie eine derartige Chronik aus der Zeit zwischen 1550 und 1861 aus. Dabei identifizierten sie die Lebensdaten von 81 Kastraten, die sie mit den Daten der männlichen Mitglieder dreier anderer Familien aus derselben Zeit mit einem ähnlichen sozioökonomischen Status verglichen.

Hoher Anteil an Hundertjährigen

Dabei zeigte sich: Die Eunuchen wurden im Schnitt 70 Jahre alt und damit zwischen 14 und 19 Jahre älter als die nicht kastrierten Männer. Drei der 81 Kastraten erreichten sogar ein Alter von über 100 Jahren. Dieser Anteil an Hundertjährigen ist 130 Mal höher als in heutigen Industrieländern wie Japan oder den USA, schreiben die Wissenschaftler.

Heute ist nur einer von 3.500 Japanern und einer von 4.500 US-Amerikanern über 100 Jahre alt. Zwar ist noch nicht genau geklärt, warum die Eunuchen so viel älter wurden als ihre Geschlechtsgenossen. Es liegt jedoch nahe, dass der niedrigere Testosteronspiegel eine Schlüsselrolle dabei spiele. Die Wissenschaftler halten es daher für sinnvoll, dass nun auch nach Aufzeichnungen über Eunuchen in anderen Kulturen gesucht werde, um die Ergebnisse zu vergleichen.

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12 Kommentare

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  • D
    durga

    ohne testosteron geht´s ja auch nicht.kommt wohl auf dem richtigen spiegel jeweils im mann an.

    http://porst-hamburg.de/spezielle-andrologie/hormonstoerungen-des-mannes/testosteron.html#c120

  • RE
    Rudolf Eglhofer

    1. Meine über vierzigjährige Lebenserfahrung beweist mir dass ich unsterblich bin.

    2. Kastraten lebten nicht länger, es kam ihnen nur so vor.

    3. Onanieren tötet.

    4. Heute müssen Beamte nicht mehr kastriert werden.

  • L
    LonelyLakritze

    lakritz soll angeblich den testosteron-level senken. also leben verlängern durch lakritz essen ?

  • D
    D.J.

    Man sollte aber auch darauf hinweisen, dass der Kastrationsvorgang als solcher für einen riesengroßen Teil den Tod bedeutete. Das gilt v.a. für die Vollkastration (Penis und Hoden), die zum Besipiel muslimische Sklavenjäger in Schwarzafrika angewandt haben - bzw. durch eigens mitgeführte Nichtmuslime ausführen ließen, da das islamische Recht Kastration eigentlich nicht erlaubt (dazu u.a. die Studie von Egon Flaig).

  • F
    Felix

    Das ist so nicht richtig. Es leben auch Menschen länger, die einen hohen Testoresonspiegel, aber gleichzeitig einen niedrigen Cortisolspiegel haben. Das ist regelmäßig bei Menschen der Fall, die über Macht oder Einfluss verfügen und dementsprechend weniger hart arbeiten müssen und weniger Stress haben.

     

    Im Übrigen ist es Unsinn, sich nur auf einen einzigen Sachverhalt zu stützen. Der menschliche Organismus ist komplex und es kommt auf das Zusammenspiel aller Komponenten an.

     

    Eunuchen waren im alten China in der Verwaltung und als Lakeien der Herrscher beschäftigt. Die längere Lebenserwartung resultiert eher daraus, dass sie eine gute Ernährungssituation, gewissen Einfluss und keine harte körperliche Arbeit verrichten mußten.

     

    In mittelalterlichen Europa waren zuweilen Kastrate als Sänger beliebt. Kinder in Waisenhäusern gab es im Überfluss, da hat man einfach ein paar den Schniegel abgeschnitten. 80% haben das nicht überlebt, aber auf ein paar mehr oder weniger hungrige Mäuler kam es den Menschen in jenen Zeiten nicht an. Tolle Aussicht!

  • K
    karl

    Zitat: "... Denn sie führten dort ein privilegiertes Leben und..."

     

    womit die längere Lebenserwartung geklärt wäre. Soziokulturelles Umfeld und nicht biologische Benachteiligung.

     

    Einfach mal nach "Klosterstudie" suchen, wenn Männer (Mönche) und Frauen (Nonnen) unter denselben Bedingungen leben, schrumpft die Differenz auf 1-2 Jahre.

     

    Die Ursache ist dieselbe wie bei Schwarzen in den USA, die eher abnippeln, als auch genauso wie bei Armen: Strukturelle Gewalt.

  • G
    gustav

    Es ist schon traurig, wie furchtbar menschenverdummend die TAZ sein kann.

     

    Aussagen von 81 Eunuchen, die unter massiv

    bevorzugten Lebensumständen lebten,

    aufgrund kaum ernsthafter Ehekrisen, keine kriegerischen

    Kämpfe und schwere Arbeit selbst durchzustehen hatten,dafür aber eine gute

    Ernährung und medizinische Versorgung hatten, werden natürlich wesentlich älter.

     

    Bevor die taz die männliche Anatomie verdammt und

    Männer zum kollektiven Hodenselbsthass verdammt,

    sollte sie sich erst einmal selbst ihrer

    Verantwortung und einer kritischen Forschungskritik

    unterziehen. Ist jede Forschung statistisch gemessen

    an der Weltbevölkerung und der rassischen

    Genpoolvarianzen überhaupt verallgemeinerbar und

    oder eine völlig, völlig unzureichende Hochrechung?!

     

    Und noch etwas, warum sollen Rinderbullen ewig leben?

    In der modernen Mast haben sie doch außer der Spermienproduktion, gesundsein und gutaussehen keine

    weitere Funktion. Zum echten Natursprung kommen

    die meisten von denen auch nicht mehr.

    Und die schmalen Hüften und gebrechlichen Kreuze

    der Fehlzuchtkühe lasssen das auch nicht mehr zu.

    Da sieht man, wie schlecht der NC in Tiermedizin

    dem gesunden Menschenverstand tut, denn Übereifer

    vernichtet die Substanz mehr, als das es ihr nutzt.

    Deswegen finde ich Rodeos oder Stierkämpfe

    ungefolterter Stiere gegeneinander sinnvoll,

    um die funktionsfähigen und wehrhaften, virilen

    Haustierrassen weiterhin noch zu erhalten.

    Damit man nicht irgendwann nur noch die

    Industriehochleistungsmaschinenwiederkäuer hat!

  • HO
    Hotel Ostoria

    War also Johannes Heesters Eunuch?

  • F
    FMH

    Das dürfte vielen Haus- und Nutztierbesitzern schon lange klar sein. Das wurde doch nicht wirklich jetzt erst untersucht, oder?

  • M
    Mann-O-Mann

    Es gibt aber auch die Sache mit der fast gleichen Lebenserwartung von Nonnen und Mönchen im Kloster (nachzulesen z.B. bei Bönt: Das entehrte Geschlecht). Das würde dafür sprechen, dass die gesellschaftlichen Lebensumstände von Männern in den meisten Gesellschaften einen großen Einfluß haben.

  • S
    Schläfer

    Ein durchaus interessanter und informativer Artikel.

     

    Das dümmliche "- was sonst" hinter Testosteron im Untertitel hättet Ihr Euch sparen können.

    Auch das Bild ist daneben.

     

    Ich habe schon länger den Eindruck, daß Text und Titel+Bild von unterschiedlichen TAZ-Leuten stammen.

    Stimmt das ?

  • V
    viccy

    Rüdiger Dahlke hat darauf schon längere Zeit hingewiesen (bei youtube mal "Schicksalsgesetze" kucken). Man muss nicht jedes Wort von ihm unterschreiben, aber manches liegt einfach auf der Hand. Oder im Schoß. So wie hier.