Leben mit David Bowie: Wie sieht der denn aus?!

David Bowie war schon da, als unser Autor ein Kind war. Die Freundschaft dauert bis heute – aber es gab durchaus Momente der Distanz.

Mädchen, die nicht genau wissen, ob sie eigentlich Jungs sind, fand unser Autor super. Und andersrum auch. Bild: dpa

Ich war acht und hatte krank im Bett gelegen, als David Bowie vorbeikam. Neben dem Bett hatte ein leerer Plastikeimer der Firma Nadler gestanden. Was in der Kantine von Möbel-Kraft übrig geblieben war, hatte mein Vater immer in Plastikeimern nach Hause gebracht. Ab und an musste ich kotzen und schlief dann wieder ein. Und im Radio lief „The Laughing Gnome“ von David Bowie. Ich liebte das Lied mit den quietschenden Stimmchen sofort. Das war wohl 1969, kurz nach der Mondlandung, die in England mit „Space Oddity“ illustriert worden war.

1972. Ich war elf oder zwölf und hörte jeden Samstag die Internationale Hitparade mit Wolf-Dieter Stubel. „The Jean Genie“ war gerade rausgekommen. Auch weil der Titel mich an die Fernsehserie „Bezaubernde Jeannie“ erinnerte, fand ich „Jean Genie“ großartig und wünschte mir die dazugehörige LP „Aladdin Sane“ zu Weihnachten. Meine Eltern müssen sich komisch gefühlt haben, als sie die Platte kauften. Wie sieht denn der aus!

Es war meine erste Platte. Je öfter man sie hörte, desto schöner wurden die einzelnen Stücke. Die Worte verstand ich nicht richtig, obgleich die Bravo eine Übersetzung von „Drive-In Saturday“ gedruckt hatte. Man musste sich erst hineinhören. Und das Schöne war, dass „Aladdin Sane“ sich mir eigentlich erst später ganz erschloss. Mit zwölf war mir das Albumdesign ein bisschen peinlich gewesen. Vor allem, dass man im Inner Sleeve die Zeichnung des nackten Bowiekörpers sah. Vielleicht irritierte mich auch, dass er in etwa die Statur hatte, die ich später haben würde.

Die Platte war zunächst eine unbekannte Insel. „Jean Genie“ und „Drive-in Saturday“ waren die Oasen des Bekannten, bei dem Liebeslied „Prettiest Star“ konnte man träumen, das spätexistenzialistische „Time“, ein großer Evergreen, mit den berühmten Bowielyrics: „Time – falls wanking to the floor“. „Aladdin Sane“ und „Lady Grinning Soul“ ein wenig überkandidelt.

Wahnsinn und Selbstmord

Es war die große Zeit von David Bowie. In den Charts begegneten sich die Hits von „Ziggy Stardust“ mit denen von „Aladdin Sane“. In der Bravo stand, dass man es „a lad insane“ lesen müsse und dass es in Bowies Familie Fälle von Wahnsinn und Selbstmord gab. Ich war sehr traurig, dass ich nicht in England wohnte.

1973 kam „Life On Mars“ heraus. Gern wär ich das Girl „with the mousy hair“ gewesen. Es war noch schöner als seine ältere Schwester aus „She’s Leaving Home“ von den Beatles. „Life on Mars“ gilt zwar nur als zweitbestes Stück der Popgeschichte, aber Schalke wird ja auch immer nur Zweiter.

Im Sommer 1973, während eines Schüleraustauschs in der Normandie, fühlte ich mich als Botschafter meines Helden, als ich mutig „Rebel, Rebel“ auf der Jukebox in einem Kleinstadtcafé drückte. Mädchen, die nicht genau wissen, ob sie eigentlich Jungs sind, fand ich super. In der Schule wählte ich aus Protest Handarbeit statt Werken.

Geschlechtertausch als Fortschrittsgeschichte

In meinem Zimmer hing das große Piratenposter von David Bowie, „Rebel, Rebel“. Die Eltern wollten, dass ich es wieder abmache. Udo Lindenberg interpretierte den Geschlechtertausch in der Popmusik als Fortschrittsgeschichte: „Und dann Mick Jagger und jetzt David Bowie, der seinen Gitarristen auf der Bühne küsst / Und wieso auch nicht, ist doch ganz egal / ob du ein Junge oder ein Mädchen bist.“ Bowies Gitarrist, Mick Ronson, fand es allerdings eher nicht so gut, als Bowie an seiner Gitarre leckte.

Nachdem ich mit vierzehn „Woodstock“ gesehen hatte, entfernte ich mich wieder aus der Gegenwart, studierte ein paar Jahre die Freaks von früher, nahm wie empfohlen Drogen, bastelte mir eine Weltanschauung, in der David Bowie einen Ehrenplatz hatte. Er war ja mit allem verbunden, hatte Hippiemusik gemacht und mit Siebzehn die „Society for the prevention of cruelty to longhaired men“ und war eigentlich auch ein Beatnik, da er seine Texte wie Burroughs mit der Cut-up-Methode entwickelte. Und so weiter.

Wie strange der echte David Bowie Mitte der 70er Jahre war! Er wog weniger als fünfzig Kilo, ernährte sich von Milch, Kokain und Zigaretten, sehnte sich nach dem Tod. „Ziggy-Stardust“ lernte ich bei meinem ersten Job in einer Gärtnerei kennen. In den Pausen saßen wir in der Sonne, rauchten Gras und hörten das Album auf einem billigen Kassettenrecorder. Diese Tage auf dem Dorf gehören zu den Top Ten meiner Teenagererinnerungen.

Tee trinken und kiffen

Ich färbte mein Haar mit Henna. In der Sonne schimmerte es ein bisschen orange. Morgens vor der Schule saß ich rauchend am Schreibtisch und hörte „All the Madmen“ und solche Sachen und summte den Refrain von „Quicksand“ auf dem Weg zur Schule. Abends saßen wir in halbdunklen Zimmern, tranken Tee, kifften zu Bowies Live-Album „Stage“. An der Decke hing eine Glühbirne, um die eine lila Windel gewickelt war und Bowie sang: „You’re such a wonderful person / but you got problems / I never touched you, I never touched you“ (Breaking Glass).

Als ich erfuhr, dass mein Star zu dieser Zeit schon in Berlin wohnte, war ich ein bisschen befremdet. Zivildienst in Kiel, „Let’s Dance“. Mich irritierte das neue Sunnyboy-Outfit. Aber toll. Man konnte gut dazu tanzen. Der verpeilte, leidende Bowie war passé. 2,6 Millionen Zuschauer sahen die „Serious Moonlight-Tour“. Ich schaute mir zwei Konzerte in Bad Segeberg und eins in Berlin an, konnte alle Lieder mitsingen, war glücklich und ging dann nach Berlin, im Kopf die Melodie von „A New Career in a New Town“.

Der neue Bowie war gesund, oft als Schauspieler unterwegs und finanziell sehr erfolgreich. Als er noch drogensüchtig war, hatte er aber besser ausgesehen. Die D. A. Pennebaker-Doku des letzten Ziggy-Stardust-Konzerts! Bowie in Cannes, der Oshima-Film.

„This Is Not America“, die Single mit der Pat-Metheny-Group, war toll, zwei Alben eher schlimm, und als er mit Mick Jagger „Dancing in the Streets“ aufnahm, empfand man das als Verrat, ein Schlag ins Gesicht. Marc Almond ist sowieso viel sympathischer.

Distanziert wie ein Exfreund

Am 6. 6. 87 spielte Bowie am Brandenburger Tor. Ich besuchte das Konzert distanziert; wie ein Exfreund. Auf der Ostseite der Mauer drängten Volkspolizisten die Fans weg. Die Show war überladen. Ein bisschen versöhnte, dass er „Sons Of The Silent Age“, eins meiner Lieblingsstücke von „Heroes“, spielte.

Neue Leute mussten sich zwar immer noch erst mal meine tollen Bowie-Platten und die dazugehörigen Überlegungen anhören, doch als Fan war ich eher passiv geworden. Auch wenn ich es schön fand, dass er 1992 in dem Twin-Peaks-Film mitspielte, dass 1996 „I’m Deranged“ der Soundtrack zu David Lynchs „Lost Highway“ war, dass auf der letzten Party im „Tresor“ irgendwann feierlich „Heroes“ gespielt wurde.

Ganz entspannt erinnerte er sich im Juli 2002 bei Harald Schmidt daran, wie er in der „Hauptstraße 55, Charlottenburg“ gewohnt hatte.

2004 dann der Herzinfarkt in Scheeßel. 2006 war er wieder wohlauf in einer Episode der britischen Comedy-Serie „Extras“. In dieser Zeit hatten wir begonnen, jedes Jahr auf dem Geburtstag einer Bowie-Freundin „Life on Mars“, „Drive-in Saturday“ und „Under Pressure“ Karaoke zu singen.

„Every alien’s favourite cousin“

Die Beziehung zu Bowie war wie die zu einem potenziell besten Freund? älteren Bruder?, –„every alien’s favourite cousin“ nannte ihn Tilda Swinton in ihrer großartigen Rede –, den man erst total verehrte und mit dem man sich dann ständig stritt. Irgendwie hab ich mich mit Bowie wieder befreundet. In den letzten zehn Jahren hatte er viele sympathische Momente. Meine Hochachtung für das Werk ist gestiegen. Die BBC-Doku „Cracked Actor“, großartige Performances auch noch in den nuller Jahren.

Und wenn es sein letztes Album sein sollte, wäre „Next Day“ eigentlich ein schönes Abschiedsgeschenk. Ich bin auch ganz begeistert über das Video zu „The Stars Are Out Tonight“. Vor allem über die Passage am Anfang, wo Bowie zu Tilda Swinton sagt: „We have a nice life.“

Mein Raverfreund Z. sagte: „Wir leben wie David Bowie und Mick Jagger ein bisschen, auch wie Marcel Proust.“ Keine Ahnung, ob das Komma richtig steht, aber es stimmt.

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