Leben, Underground etc.: Chronik einer beleidigten Leberwurst
■ Emir Kusturica hat den Streit um seinen letzten Film „Underground“ satt: Er geht jetzt lieber Angeln und läßt das Filmen
Emir Kusturicas Hals war in den letzten Wochen bedrohlich angeschwollen. „Les boules“ würden die Franzosen sagen, die sich neuerdings per Drahtesel, Rollschuh oder per pedes an den ineinander verkeilten Autos vorbei zur Arbeit schlängeln. Auf dem Höhepunkt des öffentlichen Stillstands – Bus, Bahn oder Métro: rien ne va plus! – tritt der bosnische Regisseur in seiner normannischen Residenz in den unbefristeten Streik: Kein Film mehr!
Wie konnte es nur soweit kommen? Im Mai hatte alles noch wunderbar ausgeschaut: Kusturica kassierte in Cannes zehn Jahre nach seiner ersten Goldenen Palme (für „Papa ist auf Dienstreise“) seine zweite für das barocke Jugoslawien-Epos „Underground“. Alle jubelten – nur in seiner Geburtsstadt Sarajevo hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Der Filmemacher hatte in der Stunde des Triumphes kein Wort über Bosnien verloren.
Als zwei französische Intellektuelle, Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy, dem Regisseur vorwarfen, er diene mit seinem Film der serbischen Propaganda, wurde es Ernst. In zahllosen Talkshows sah sich der Künstler mit Anklägern und Aufklärern konfrontiert, die ihn als unverbesserlichen Groß-Serben und ergebenen Vasallen Miloševićs enttarnen wollten. Daß kaum einer von ihnen den Film gesehen hatte, schien der Debatte nichts von ihrer Brisanz zu nehmen.
Kusturica, zunehmend angewidert von der Kampagne, bezeichnete seine Gegner als „intellektuelle Terroristen“ und „Sarajevo-Touristen“ und empfahl allen Zweiflern, sich „Underground“ erst mal anzusehen. Trotzdem ließ Finkielkraut nicht locker: Hatte er im Juni Kusturica in Le Monde bescheinigt, er „nazifiziere die Opfer der ,ethnischen Säuberungen‘“, so rückte er nach dem Kinostart das „corpus delicti“ des „serbischen Kollaborateurs“ (Libération, 30.10.95) in die Nähe zu Riefenstahls „Triumph des Willens“.
Vermutlich hätte der Geschmähte auch diese Attacke ausgesessen und sein slawisches Temperament gezügelt, hätte nur ein Massenpublikum die Philosophen aus Saint Germain eines Besseren belehrt. Doch der Zustrom blieb aus. Zwar erreichte „Underground“ nach vier Wochen allein in Paris über 100.000 Neugierige, konnte aber nicht an Kusturicas Erfolge wie „Time of the Gypsies“ und vor allem „Arizona Dream“ anknüpfen.
Als die Millionenproduktion auch in Deutschland nach zehn Tagen nur magere 30.000 ZuschauerInnen ins Kino lockte, platzte dem Filmemacher endgültig der Kragen. Er griff zum Hörer und teilte einer erstaunten Libération-Journalistin mit: „Ich mache keine Filme mehr!“ Zwar könne er sich vorstellen, wie sehr diese Nachricht seine Feinde beruhige, aber seine Freunde sollten wissen, daß sein Leben auf diese Weise leichter sein werde. „Fünf Filme wie fünf gelebte Leben – mit dem seltsamen Glücksgefühl, daß das alles jetzt vorbei ist.“ (Libération, 4.12.95)
Die Gründe für seinen Schritt liegen im Halbdunklen. Ist Monsieur beleidigt? Enttäuscht? Bei der Pandara, dem deutschen Koproduzenten von „Underground“, glaubt man an eine „Kurzschlußreaktion“. Bei Ciby 2000 in Paris, wo Kusturica noch für weitere Filme unter Vertrag ist, wollte sich gestern niemand zur Entscheidung des Abtrünnigen äußern.
Was also will der schmollende Filmemacher künftig machen? Zurück zum Rock oder zum Fußball? Frührentnern? „Mein Leben ändern“, tönt er trocken. Sagt's und sticht auf seinem Boot zum Angeln in See.
Früher oder später wird Emir wieder angriffslustig an Land kommen. Daß die Tempelwächter der political correctness dann wieder an ihre Laptops sprinten, wird das Rauhbein aus Sarajevo sicher nicht von der Rückkehr hinter die Kamera abhalten. Marcus Rothe
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